29
6 —
Orchestrion, das alle Sonntage den „Ledigen“ des Ortes unermüdlich
seine alten und neuen Tänze aufspielt. Da bieten die Mädchen mit
ihren steifen, vielgefalteten Röcken und buntgeblümten Kopftüchern,
mit ihrem dunkeln Samtmieder und ihrer breiten, farbigen Schürze,
die Burschen in ihren straffsitzenden, schwarzen Jacken, den seidenen,
schwarzen Westen und dem unter dem Kinn festgeknoteten Halstuche
ein farbenprächtiges Bild. Während sie tanzen, sitzen die Verheirateten
und Alten beisammen an den Kaffeetischen im wendischen Saale, aus
dessen niedriger Holzdecke die festen Quer- und Längsbalken hervor—
springen. Auf schmalen Holzleisten stehen nebeneinander gereiht alter—
tümliche Krüge, Gläser, Teller und Schüsseln. Viele Bilder und
Skizzen in Ol, Kreide und Bleistift schmücken die Wände. Unweit
des Wirtshauses, jenseit der hohen, sich über ein schmales Spreewasser
wölbenden Holzbrücke liegt das Fremdenhaus. Es ist ein luftiger,
großer Bau aus langen, schmalen Brettern, von denen zähe Harz—
tropfen langsam herabfließen.
Warum Lehde so zahlreich von den Malern aufgesucht wird, ist
jedem klar, der einmal dort war. Das Dorf liegt eigenartig schön;
alle Häuser stehen auf kleinen Inselchen. Will ein Bauer zum andern,
so muß er sich des flachen, breiten Kahnes bedienen, der im Dorfe
und von Dorf zu Dorf den Verkehr vermittelt. Auf dem Kahne
bringt der Bauer die Früchte seiner Acker und Felder: Meerrettich,
Mohrrüben, Zwiebeln, Kürbis und vor allem die weitberühmten
Gurken zum Markte. Der Kahn trägt den Post- und Paketboten von
der Stadt ins Dorf, den Arzt zu den Kranken, den Pfarrer zu den
Sterbenden. Auf dem Kahne fahren die Täuflinge mit ihren Eltern
und Paten zur Lübbenauer Kirche, Braut und Bräutigam zur Hochzeit,
die Toten zum Grabe.
Die Häuschen des Dorfes sind auf Steingrund aus Balken erbaut,
mit Schilf und Rohrdächern, auf denen grünes Moos sich angesiedelt
hat. Die bretterbeschlagenen Giebel schmücken nach altem Herkommen
hölzerne Tierköpfe. Durch die quergeteilte Tür tritt man in einen
Fur, an dessen einer Seite die Altenstube liegt, welche die Bauern
bewohnen, die sich zur Ruhe gesetzt haben. An der andern Seite
liegt die geräumige, geweißte Staatsstube mit ihrem altmodischen
Hausrat, den buntbemalten Truhen und Schränken und dem niedrigen,
von einer breiten Bank umzogenen braunroten Kachelofen. Daneben
liegt, nur durch eine dünne Bretterwand abgetrennt, die enge Schlaf—
kammer mit den hochgetürmten Federbetten.
Im Hintergrunde des Flurs befindet sich die Küche mit bescheidenem
Gerät; über dem Flur liegt der weite Boden mit den Wintervorräten.