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seien. Von allen Seiten sammelten sich die Kreuzfahrer, während die
Fürsten ernstlich rüsteten.
Schon im Frühlinge des Jahres 1096 brachen zwei ungeduldige
Haufen, meist zusammengelaufenes Gesindel, nach Palaästina auf; aber
Hunger, Seuchen und das Schwert der Türken rieben sie auf, ehe sie
das Heilige Land erreichten. — Im Herbste, nach der Ernte, machte
sich der Hauptzug, ein wohlgeordnetes, gut ausgerüstetes Heer unter
Führung Gottfrieds von Bouillon auf den Weg. UÜber 100000
gepanzerte Reiter und 200000 streitbare Männer hatten sich zusammen⸗
gefunden. Zweimal wurden die Türken geschlagen. Antiochia wurde
nach monatelanger Belagerung mit Sturm genommen. Nach drei
Jahren unermeßlicher Mühseligkeiten, welche Hunger, Hitze und Verrat
der Griechen herbeigeführt hatten, erreichten die Kreuzfahrer Jerusalem.
Nur 20000 streitbare Männer begrüßten die Stadt, aber alle Müh⸗
sale waren vergessen. Namenlose Wonne ergriff sie; sie weinten vor
Freude und küßten den Erdboden und wären gern gleich eingezogen.
Aber die Stadt war befestigt und von 60000 Mohammedanern besetzt.
Man schickte sich zum Sturme an; aber die Türken schlugen ihn ab.
Wochenlang wurde die Stadt belagert. Brennender Durst quälte die
Belagerer, da weit und breit die Brunnen verschüttet waren. Meilen—
weit mußte das Holz zu den Belagerungswerkzeugen herbeigeschafft
werden. Man bereitete einen neuen Sturm. Leitern, Wurfmaschinen
und Belagerungstürme wurden gezimmert. In feierlichem Zuge, die
Priester voran, bewegte sich das Heer, von den Türken verhöhnt, um
die Stadt. Am 14. Juli 1099 näherte man sich den Stadtmauern.
Ein Hagel von Steinen und Wurfspießen empfängt die Angreifenden.
Uber Leichenhügel hinweg schreiten sie voll Todesverachtung. Die
Kriegsmaschinen werden herangebracht. Schon jubelt das christliche
Heer. Da bricht die Nacht herein und macht dem Kampfe ein Ende.
Kaum dämmert der Morgen, so beginnt die blutige Arbeit von neuem.
Mit Erbitterung verteidigen sich die Türken. Töpfe mit brennendem
Pech und Schwefel, Steine, Balken, selbst Leichname werden auf die
Köpfe der Belagerer hinabgeschleudert. Sie weichen. Ein Jubelruf
der Türken erschallt. Da erblickt Gottfried von Bouillon auf dem
Olberge eine Rittergestalt in weißer Rüstung und den hellstrahlenden
Schild schwingend. „Seht da,“ ruft er, „ein Cherub mit flammendem
Schwerte, den Gott uns zum Mitstreiter sendet.“ — „Gott will es!
Gott will es!“ antwortet die Schar der Christen, und mit wildem
Ungestüm dringt sie vorwärts. Gottfried erklimmt zuerst die Mauer.
Die Seinen folgen; Schar drängt sich auf Schar, und Jerusalem ist
erobert. Ein schreckliches Morden beginnt. Männer und Weiber,