Full text: Lesebuch für Brandenburg

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2. Kamen die beiden atemlos an der Mühle an, dann setzte sich Leo 
auf die Steinplatte vor dem Hause und wartete, bis Hans wieder zurück— 
kam von drinnen. Daß es nicht lange dauerte, wußte er. Hans hatte 
von der gütigen Mutter ein Stück Brot geholt. 
„Laß mich doch, Leo; brauchst nicht so zu stoßen, es ist ja dein, aber 
warte doch!“ — damit legte Hans schützend seine Hand auf die Hosen— 
tasche, um sein erbeutetes Stück vor der zudringlich stoßenden Nase Leos 
zu schützen. Dann rannte er nach einem Lattenzaun und schwang sich 
hinauf, um in etwas gesicherter Höhe sein Brot zu verschmausen. Leo 
setzte sich vor ihm hin und verfolgte mit rot leuchtenden Augen jeden 
Bissen, der im Munde des Knaben verschwand. Aber mancher flog im 
Bogen in seinen Rachen, den er geschickt öffnete. Manchmal hielt ihm 
Hans den Brocken lange an die Nase und ließ ihn schließlich in den 
eigenen Mund spazieren. Dann klopfte Leo mit dem Schwanze auf den 
Boden, daß es schallte, als wollte er sagen: „Weil du's bist, lasse ich 
mir das gefallen, sonst würde ich schnappen. Aber wir beide ver— 
stehen Spaß.“ 
3. Nach dem Mittagessen sah Hans durchs Fenster, wie Friedrich, 
der Knecht, den großen Leiterwagen, mit vollen, schweren Mehlsäcken 
bepackt, zur Abfahrt rüstete. „Vater, wohin geht Friedrich?“ „Nach 
W. hinunter mit starker Fracht.“ „O, darf ich mit? Ich habe keine Schule, 
bitte, Vater!“ „Nein, du kannst nicht mit, der Vater fährt nicht mit, der 
Friedrich geht allein“, sprach die Mutter besorgt. Der Knabe heftete 
seine Blicke flehend auf des Vaters Gesicht, von dem er alles Gute 
hoffte. 
„Du bist freilich noch nie ohne mich gefahren; aber der Friedrich ist 
zuverlässig. Willst du ihn lassen, Mutter?“ „Ungern“, war die Antwort. 
Hans aber hörte sie schon nicht mehr. Auf und davon war er und 
fletterte eiligst auf das Brett vorn am Wagen und faßte die Leinen. 
„Leo, wir fahren, hurra, Leo!“ Und Leo sprang hoch auf neben dem 
Wagen, der rasselnd die Landstraße entlang rollte. Es war ein stiller, 
milder Wintertag. Wie vergnügt schaute Hans um sich, wie jauchzte er, 
als der Wagen über die Brücke fuhr und die grünen, stillen Wellem leise 
rauschend unter dem polternden Wagen davonzogen! Er hatte den 
Friedrich viel zu fragen, und dieser war guter Dinge, bis sie im statt⸗ 
lichen W. einfuhren. 
4. Früh breitet sich die Winternacht über die schweigende Flur. 
Schüchtern blinkt da ein Sternlein und dort eins durchs Gewölk. Die 
Wellen des Flusses rauschen geheimnisvoll unter dem Brückenbogen. Da, 
was stört die Stille? Polternd und knarrend fährt der leere Müller— 
wagen auf die Brücke. Der Friedrich ist auf dem Heimwege. Aber nicht 
mehr stramm sitzt er auf dem Bocke, schwer hängt der Kopf vornüber.
	        
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