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11. Die Belagerung von Paris.
jeder Zeit durch die zahlreichen Thüren auf die schöne Terrasse hinaus¬
treten, die den Palast nach dem Park zu umgiebt und eine prächtige Aus¬
sicht gewährt. Auch die Bettlägerigen werden da hinausgestellt, so viel
die Witterung nur irgend erlaubt, um in der freien Natur Körper und
Seele zu kräftigen. Man raucht, liest Zeitungen, man schreibt Briefe
oder läßt sie durch freundliche Helfer schreiben. Es fehlt nicht an be¬
freundetem Besuch, an geistlichem Zuspruch und öfters wird in den großen
Sälen auch Gottesdienst gehalten.
11. Die Belagerung von Paris.
Als die beiden großen kaiserlichen Armeen bei Sedan und Metz
gefangen genommen waren, schien die Macht und der Widerstand Frank¬
reichs gebrochen. Die gewaltige Rheinarmee, welche dazu bestimmt war,
Deutschland zu überschwemmen, war fast ganz vernichtet. Mehr als
300,000 Mann Franzosen standen mit ihrem Kaiser zwar auf dem
Boden Deutschlands, aber nicht als Sieger, sondern als Gefangene.
Noch nie sind in einem Kriege solche unerhörte Massen, solch' große
Kriegsheere gefangen genommen worden. Man hätte meinen sollen,
daß die Franzosen nun sich für besiegt erklären und Frieden machen
würden. Das war aber durchaus nicht der Fall. Jetzt machten sie
vielmehr neue, verzweifelte Anstrengungen, um die Deutschen zu verjagen.
Nachdem der Kaiser Napoleon in der Schlacht bei Sedan in Ge¬
fangenschaft gerathen war, erklärte man ihn für abgesetzt. Aus dem
Kaiserreich wurde eine Republik. An die Spitze stellten sich Männer,
welche schwuren, den Krieg fortzusetzen, bis sie die wilden Horden, wie
sie sich ausdrückten, von dem heiligen Boden Frankreichs bis auf den
letzten Mann vertrieben hätten. Keinen Fuß breit Land und keinen
Stein von ihren Festungen wollten sie an die Deutschen abtreten. Unter
diesen Männern waren es namentlich Jules (Schül) Favre (Faber) und
Gambetta, welche zur Fortsetzung des Kampfes aufstachelten. Alle
waffenfähigen Männer wurden aufgerufen, ihr Vaterland zu verthei¬
digen. Wer eine Flinte und einigen Muth hatte, machte sich auf, um
wenigstens ans dem Hinterhalte einzelne Soldaten zu überfallen. In
Wäldern und einsamen Gegenden fielen diese Freischützen (Franktireurs)
über unsere Transporte oder kleine Abtheilungen her und nahmen
Lebensmittel und Munition weg, während sie die Mannschaften tödteten
oder in die Gefangenschaft führten. Es entstand so durch das ganze
Land kleiner Krieg; für unsere Truppen wurden die Straßen namentlich
in waldigen und gebirgigen Gegenden sehr unsicher.
Es gelang den ungeheuren Anstrengungen der republikanischen
Regierung, im Laufe weniger Wochen unseren Truppen bedeutende neue -
Armeen entgegenzustellen. Der Kampf mit ihnen war hartnäckiger als
mit den kaiserlichen Heeren; daher war der Krieg nicht so schnell zu
Ende, als man anfangs geglaubt hatte. Der Verlauf desselben war
folgender.