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Sink in Schlummer! Aufgefunden
ist das Ziel, nach dem du schrittest,
ist der Kranz, um den du littest;
Ruhe labt am Quell der Wunden.
Auf, Gesang vom Klagethale!
Schweb' empor zu lichten Hallen,
wo die Siegeshymnen schallen;
singe Tröstung dem Gemahle!
Sink an deiner Völker Herzen,
du im tiefsten Leid Verlorner,
du zum Martyrtum Erkorner,
auszubluten deine Schmerzen!
Herr und König, schau nach oben,
wo sie leuchtet gleich den Sternen,
wo in Himmels weiten Fernen
alle Heiligen sie loben!
233. Der Rückzug der großen Armee aus Rußland.
G. Freytag.
Es war nach dem Neujahr 1813. Das scheidende Jahr hatte dem
neuen einen strengen Winter als Erbschaft zurückgelassen; aber in Haufen
standen die Leute auch in einer mäßigen Stadt vor dem Posthause.
Glücklich, wer zuerst das Zeitungsblatt nach Hause trug!l Kurz und vor⸗
sichtig war der Bericht über die Ereignisse dieser Tage; denn in Berlin
saß der französische Militärgouverneur und bewachte jede Außerung der
verschüchterten Presse. Dennoch war längst die Kunde von dem Schicksale
der großen Armee bis in die entlegenste Hütte gedrungen: zuerst dunkle
Gerüchte von Not und Verlust, dann die Nachricht von einem ungeheuern
Brande in Moskau und den himmelhohen Flammen, die rings um den
Kaiser aus dem Boden gestiegen wären, dann von einer Flucht durch
Eis und Wüsteneien, von Hunger und unsäglichem Elende. Vorsichtig
sprach auch das Volk darüber; denn die Franzosen lagerten nicht nur in
der Hauptstadt und den Festungen des Landes, sie hatten ihre Agenten
auch in den Provinzen, Späher und verhaßte Angeber, denen der Bürger
aus dem Wege ging. Seit den letzten Tagen wußte man, daß der Kaiser
von seinem Heere geflohen war. In offenem Schlitten, nur einen
Begleiter neben sich, war er als Herzog von Vicenza verhüllt Tag und
Nacht durch preußisches Land gefahren. Am 12. Dezember war er um
acht Uhr abends in Glogau angelangt; dort hatte er eine Stunde geruht
und war um zehn Uhr in grimmiger Kälte aufgebrochen. Am nächsten
Morgen war er zu Hainau in die alte Burg eingefahren, wo damals
der Posthof war. Dort hatte die entschlossene Postmeisterin ihn erkannt,
in ihrer Küche mit den Löffeln umhergeschlagen und geschworen, ihm keinen
Thee zu gönnen, sondern ihm einen andern Trank zu brauen. Durch die
ängstlichen Vorstellungen ihrer Umgebung war sie endlich bis auf Kamillen⸗