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Witwe und salzte sie oft mit ihren bittern Kummertränen. Denn es war da⸗
mals unter ihrem Dache wie in der Hütte der Witwe von Zarpath, als sie dem
Propheten anlwortete: „So wahr der Herr, dein Gott, lebet, ich habe nichts
Gebackenes, ohne eine Handvoll Mehl im Topf und ein wenig Sl im Kruge.
Und siehe, ich habe Holz aufgelesen und gehe hinein und will mir und meinem
Sohne zurichten, daß wir essen und sterben.“
Der Kuabe liebte seine Mutter und bewies seine Liebe am meisten da—
durch, daß er nie über seinen Hunger klagte, sondern geduldig von einer Mahl⸗
zeit auf die andre wartete und überhaupt alles vermied und verbarg, was ihr
das Herz noch schwerer machen konnte. Aber fast die ganze andre Hälfte seines
Herzens war den Ziegen zugewandt, und es wollte ihm brechen, wenn er sah,
ie sie, von Hunger getrieben, an der Kufe hinaufsprangen und vergebens Hals
und Zunge streckten, um die Neige darin zu erreichen. Hätten sie von seinen
schönen Worten und Vertröstungen auf den nahen Frühling satt werden können,
daͤnn hätten sie mehr als genug gehabt. Aber so wurden sie immer magerer,
und der Knabe entschloß sich endlich, für sie zu tun, was er noch nicht einmal
für seine Mutter getan hatte.
In Solenhofen war ein Benediktinerkloster. An die Pforte desselben
pochte der Knabe mit dem schweren, eisernen Klöpfel, der daran hing, und ant⸗
wortete dem Bruder Pförtner, der nach seinem Begehren fragte, er müsse mit
dem Abt selbst reden. Er wurde vor diesen ehrwürdigen Diener Gottes ge—
führt, küßte ihm die Hand und bat, er möchte ihm doch nur erlauben, das
Heu aufzulesen, das die Klosterkühe unter den Barren und unter die Streu
würfen; denn seine zwei Ziegen wären am Verhungern. Den Abt überraschte
anfangs die Bitte, deren Gewährung gar leicht mißbraucht oder wenigstens zu
einer großen Versuchung werden konnte. Aber bald überzeugte er sich, mit was
für einer aufrichtigen und redlichen Seele er es zu tun habe. Er fragte unter
andern Dingen nach dem wenigen, was nach den damaligen Anforderungen der
Kirche ein Christ wissen sollte. Der Knabe sagte seinen Glauben, sein Vater⸗
unser nebst einigen anderen, kürzeren Gebeten gut her und beantwortete munter
etliche Fragen aus dem Evangelium. — Nun sprach der Abt: „Mein Söhhnlein,
du darfft alle Tage, wenn unsre Kühe zur Tränke getrieben werden, kommen
und holen, was sie unter dem Barren liegen lassen. Und wenn der Bruder
Qüchenmeister etwas übrig hat, so wird er es dir auch mitgeben für dich und
deine Multer.“ Dann segnete er den Knaben und entließ ihn froh und ge—
tröstet.
In der Hütte der Witfrau hatte nun die Not ein Ende. Bald kam auch
der warme und freundliche Frühling; die Witwe entdeckte wieder eine ergiebige
Sandgrube, und ihr Benedikt trieb als gedungenes Ziegenhirtlein die Ziegen
des Dorfes auf die hohen, luftigen Berge. In die Kost ging er bei den
einzelnen Besitzern der Reihe nach. Sein Osterlamm aß er im Kloster, seinen
Pfingstkuchen buk ihm die Wirtin, seinen Kirchweihschmaus hielt er in der neuen
Mühle, und seinen Namenstag feierte er wieder mit den Benediktinern.
An Unterhaltung fehlte es ihm auch auf den einsamen Höhen nicht. Da
lag der damals noch unbenutzte Kalkschiefer so am Tage, daß es ihm leicht
ward, Platten davon herauszuheben und aus ihnen mit einem ganz kleinen
Hammer, den ihm noch sein verstorbener Vater gemacht hatte, regelmäßige
Vierecke zu fertigen.
Was man so unrichtiger und sündlicher Weise Zufall nennt, führte den
Knaben zu einer wichtigen Erfindung. Benedikt legte einmal eine Schiefer—