Full text: Lesebuch für die Oberstufe der evangelischen Volksschulen des Herzogtums Oldenburg

und. der Henker sollte mir den Dienstboten holen, der mir ein einziges Mal 
über die Schnur hiebe. Ordnung im Haushalt ist keine Hexerei, und ich habe 
ein so sicheres Miltel, meine Leute vom Schlemmen und Schlendern abzuhalten, 
daß ich alles in der Welt darauf wetten will, es fällt ihnen gar nicht ein. 
Das Spaßigste aber ist, daß ich dieses Mittel von meiner Viehmagd gelernt 
habe. Diese wollte als ich meinen Mann geheiratet hatte und wir unsre 
Pachtung antraten, nicht früh genug aufstehen uͤnd wie ich sie darüber zur 
Rede stellte, gab sie mir zur Antwort: „Bi us mutt de Wert vorup. Dies 
schallte mir durch die Ohren, und auf einmal erleuchtet, fühlte ich die ganze 
Wahrheit, daß alles in der Haushaltung durch einen guten Vorgang gezwungen 
erden müsse, und daß es eine Torheit sei, sich um acht Uhr aus dem Bette 
zum Kaffeetrinken wecken zu lassen und von dem Gesinde zu fordern, daß es 
uͤm drei Uhr an der Abeit sein und sich nicht auch eine verstohlene Freude 
machen sollte. 
Wie des andern Morgens vier schlug, sagte ich daher zu meinem 
Manne: „Der Wirt muß vorauf!“ Und so wie wir dieses einigemal getan 
hatten, war alles Gesinde so schnell bei der Hand, daß ich seit der Zeit nicht 
nötig gehabt habe, ein einziges Mal mit der Viehmagd über ihren langen 
Schlaf zu schelten. Anfangs fiel es uns etwas schwer so früh die warmen 
Federn zu verlassen. Wie wir es aber erst eine Zeitlang getan hatten, war es 
Uns nicht möglich, lange über die gewohnte Zeit darin zu verweilen. 
Nun, mein Schaß, weißt du mein ganzes Geheimnis, und wenn du das⸗ 
selbe wohl anwendest, wirst du nicht nötig haben, dich über Unordnung im 
Haushalt zu beschweren. Andern zu befehlen und Vorschriften zu geben, ist keine 
Kunst; man muß vorauf gehen, wenn einem gefolgt sein soll, auf die Bresche, 
wie auf die Dresche, und der Soldat lacht über den Hauptmann, der ihm 
hinterm Eichbaum befehlen will, als ein braͤver Kerl die Sturmleiter hinauf zu 
klettern. So handeln aber unsre meisten Haushalter; sie selbst wollen schlafen, 
bis der Kaffee fertig ist, und hinterm Ofen sitzen; das Gesinde aber soll sich 
quälen und schlecht behelfen. Das geht nicht und wird in Ewigkeit nicht 
gehen! „De Wert mutt vorupl!“ Justus Möser. 
88. Wenn die Not am größten, ist Gott am nächsten. 
Das Handelshaus Gruit van Steen war im Beginn des siebzehnten Jahr⸗ 
hunderts eines der angesehensten, reichsten und festbegründetsten in Hamburg. 
Inhaber der Handlung war damals Herr Hermann Gruit, der nach dem Tode 
des ehrwürdigen Vaters mit der Handlung und dem Hause auch den alten 
Jansen als Erbstück überkommen hatte, einen goldtreuen Diener des Hauses, 
it Leib und Seele, wie sonst dem alten, nun dem jungen Herrn zugetan, 
welchen er schon als Kind auf den Knieen geschaukelt hatte. Wenige verstanden 
das Handelswesen damaliger Zeit bis in seine äußersten Verzweigungen so von 
Grund aus, wie der alte Jansen; daher galt auch sein Wort in der Schreib⸗ 
stube wie das des Herrn. 
Der dreißigjährige Krieg verheerte schon seit zwanzig Jahren unser armes 
Vaterland durch Raub, Mord und Brand von einem äußersten Ende zum 
andern. Stadte und Dörfer wurden zu Hunderten verheert und verlassen von 
den Bewohnern, die mit dem Vieh in die Wälder geflohen waren, um sich vor 
den räuberischen, blutigen Händen der gottlosen Landsknechte zu retten. Bei 
disem allem und der Ünsicherheit der Straßen in allen Läͤndern war es kein 
27
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.