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VI. Geistliches und
gebildet und selbstklug sein; denn weiß einer sich selbst zu raten und zu
helfen, so ist ja das Kürzeste, daß er sich selbst hilft. Das Händefalten ist
eine feine äußerliche Zucht und sieht so aus, als wenn sich einer auf Gnade
und Ungnade ergiebt und's Gewehr streckt; aber das innerliche, heimliche
Hinhangen, Wellenschlagen und Wünschen des Herzens, das ist nach meiner
Meinung beim Gebet die Hauptsache; und darum kann ich nicht begreifen,
was die Leute meinen, die nichts vom Beten wissen wollen. Das müßte ja
ein hölzerner Bube sein, der seinen Vater niemals etwas zu bitten hätte und
erst einen halben Tag überlegte, ob er's zu dem Ende wolle kommen lassen
oder nicht. Wenn der Wunsch inwendig in dir dich nahe angeht und von
Herzen konmt, so wird er nicht lange anfragen: er wird dich übermannen
wie ein starker, gewappneter Mann und kurz und gut am Himmel anklopfen.
Aber das ist eine andere Frage, was und wie wir beten sollen. Kennt
jemand das Wesen dieser Welt, und trachtet er ungeheuchelt nach dem, was
besser i. dann hat es mit dem Gebet seine gewiesenen Wege. Aber des
Menschen Herz ist eitel und thöricht von Mutterleibe an. Wir wissen nicht,
was uns gut ist, und unser liebster Wunsch hat uns oft betrogen. Und also
muß man nicht auf seinem Stück stehen sondern blöde und bescheiden sein
und dem lieber alles anheimstellen, der's besser weiß als wir.
Das Vaterunser ist ein für allemal das beste Gebet; denn man weiß,
wer's gemacht hat. Aber kein Mensch auf Gottes Erdboden kann es so
nachbeten, wie der es gemeint hat; wir krüppeln es nur von ferne, einer
noch immer armseliger als der andere. Das schadet aber nichts, wenn wir
es nur gut meinen; der liebe Gott muß so immer das Beste thun; und der
weiß, wie es sein soll.
232. Gebet.
Herr, den ich tief im Herzen trage, sei du mit mir!
Du Gnadenhort in Glück und Plage, sei du mit mir!
Im Brand des Sommers, der dem Manne die Wange bräunt,
wie in der Jugend Rosentagen sei du mit mir!
Behüte mieh am Born der Freude vor Ubermut,
und wenn ich an mir selbst verzage, sei du mit mir!
Dein Segen ist wie Tau den Reben; niehts kann ieh solbst;
doch dass iech kühn das Höchste wage, sei du mit mir!
O du mein Trost, du meine Stärke, mein Sonnenlicht,
bis an das Ende meiner Tage sei du mit mir! olpol.
233. Sprichwörter und Denlverse.
1. Wie man im Hause liest die Bibel,
so steht auf dem Hause der Giebel.