A. Lesestücke religiös-sittlichen Inhalts.
Buchhalter, und wir stoßen fröhlich miteinander an. Und wie
ich das so denke, sagt der Buchhalter: „Wollen wir hinüber in
das Bräuhaus? Es wird eben frisch angestochen.“
Es muß sein, daß es Minuten gibt, wo einer dem andern
ins tiefste Herz hineinschaut. Und ich sag': „Da haben wir
einen Gedanken gehabt; aber ich trinke jetzt nicht,“ und mir
wird plötzlich angst und bange; mir ist, als wäre ich mitten im
Walde von Räubern angefallen, und doch rede ich vom Wetter
und allerlei.
Der Buchhalter macht das Buch zu, dreht den Schlüssel am
Kasten ab, zieht einen andern Rock an, greift nach seinem Hute und
steckt meinen Schuldschein in die Tasche.
Ich bekomme eine Höllenangst vor dem Buchhalter, und
plötzlich reiß' ich mich los und fasse die Tür und renne und
stolpere, daß ich fast zu Boden falle, zum Hause hinaus; aber ich
wende mich um, und jetzt renne ich dem Buchhalter gerade auf
die Brust; ich wende mich wieder ab und springe die Treppe
hinauf und: „1187 Gulden 30 Kreuzer bin ich schuldigl“ schreie
ich der Witwe zu, die oben an der Treppe steht.
Ich habe der Witwe bei Heller und Pfennig meine Schuld
bezahlt. Das tröstet mich jetzt, und das nehme ich mit ins Grab.
Vertold Auerbach.
5. Was der Kirchhof predigt.
Am Ruheplatze der Toten ist es still. Hier hört man nichts
vom Treiben der Straße, nichts vom Geklapper der Mühle, nichts
vom fröhlichen Jauchzen spielender Kinder. Aber dennoch, wenn
wir an einem teuren Grabe sitzen und eine Träne hinabfällt in
die duftenden Blüten zu unsern Füßen, da hören wir zuweilen
in dem leisen Geflüster der Hängebirke oder der Trauerweide
Klänge, die unserm Herzen immer vernehmlicher werden, je an⸗
dächtiger wir lauschen Da sagt eine leise, klagende Stimme;
„Hast du den teuren Menschen, der hier zu deinen Füßen
im Grabe ruht, niemals durch deine Schuld gekränkt? Bist du
nie unfreundlich und rauh gegen ihn gewesen? Ach, wie oft wohl!
Nun möchtest du gern durch die zärtlichste Liebe alles Unrecht
wieder gutmachen; aber der Tote hört nicht deine Seufzer, sieht
nicht deine Tränen. Doch sei getrost! Du hast noch Vater und
Mutter, hast noch Geschwister, hast noch Freunde und Genossen: