Full text: Lesebuch für die Oberstufe (Teil 3, [Schülerband])

C. Aus der Geschichte unsers Vaterlandes. 27 
Diese sind, wie die dummen Tiere, nur auf den Bauch und 
seine Gelüste gerichtet und vernehmen nichts von dem Wehen des 
himmlischen Geistes. Sie grasen, wie das Vieh, nur die Speise 
des Tages, und was ihnen Wollust bringt, dünkt ihnen das einzig 
Gewisse. Darum heckt Lüge in ihrem eitlen Geschwätz, und die 
Strafe der Lüge brütet aus ihren Lehren. 
Auch ein Tier liebet; solche Menschen aber lieben nicht, die 
Gottes Ebenbild und das Siegel der göttlichen Vernunft nur 
äußerlich tragen. Der Mensch aber soll lieben bis in den Tod 
und von seiner Liebe nimmer lassen noch scheiden. Das kann kein 
Tier, weil es leicht vergißt, und kein tierischer Mensch, weil ihm 
Genuß nur behagt. 
Darum, o Mensch, hast du ein Vaterland, ein heiliges 
Land, ein geliebtes Land, eine Erde, wonach deine Sehnsucht ewig 
dichtet und trachtet. Wo dir Gottes Sonne zuerst schien; wo dir 
die Sterne zuerst leuchteten; wo seine Blitze dir zuerst seine All— 
macht offenbarten und seine Sturmwinde dir mit heiligem Schrecken 
durch die Seele brauseten: da ist deine Liebe; da ist dein Vater— 
land. Wo das erste Menschenauge sich liebend über deine Wiege 
neigte; wo deine Mutter dich zuerst mit Freuden auf dem Schoße 
trug und dein Vater dir die Lehren der Weisheit und des Glaubens 
ins Herz grub: da ist deine Liebe; da ist dein Vaterland. Und 
seien es kahle Felsen und öde Inseln, und wohne Armut und 
Mühe dort mit dir — du mußt das Land ewig lieb haben; denn du 
bist ein Mensch und sollst nicht vergessen, sondern behalten in 
deinem Herzen. Auch ist die Freiheit kein leerer Traum und 
kein wüster Wahn, sondern in ihr lebt dein Mut und dein Stolz 
und die Gewißheit, daß du vom Himmel stammest. 
Da ist Freiheit, wo du leben darfst, wie es dem tapferen 
Herzen gefällt — wo du in den Sitten und Weisen und Gesetzen 
deiner Väter leben darfst — wo dich beglücket, was schon deinen 
Urältervater beglückte — wo keine fremden Henker über dich ge— 
bieten und keine fremden Treiber dich treiben, wie man das Vieh 
mit dem Stecken treibt. 
Dieses Vaterland und diese Freiheit sind das Allerheiligste 
auf Erden, ein Schatz, der eine unendliche Liebe und Treue in sich 
verschließt, das edelste Gut, das ein guter Mensch auf Erden be— 
sitzt und zu besitzen begehrt. Darum auch sind sie gemeinen Seelen 
ein Wahn und eine Torheit allen, die für den Augenblick leben. 
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