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22. Die lange Nacht in Hammerfest.
betrieben. Der Wanderer irrt durch die nackten Klippen; er winde
sich durch die unermeßlichen Labyrinthe von Sumpf und Wildniß
So weit sein Auge reicht, erkennt er nichts als die Dede eines Apen
hochlands. Plötzlich aber stockt sein Fuß, schaudernd springt er zu—
rück; er steht an einem gähnenden, schwindelnden Abgrunde, an einen
Spalt, der drei⸗, viertaufend Fuß tief senkrecht eingeschnitten, ihn auf
viele Meilen Länge von dem jenseitigen Ufer treunt. Und was er
unten erblickt, der schmale Wasserstreif, welcher zu ihm heraufblitzt, e
ist das Meer, von dessen Nähe er keine Ahnung haite.
Müͤgge.
22. Die lange Nacht in Hammerfest.
In Hammerfest ist die lange Nacht die Zeit der Ruhe für alles Handels
leben, und man möchte sagen: Am Polarkreise setzt die Natur dadurch dem
ruhelosen Menschengeschlechte einen Markstein seiner Thätigkeit. Das Wasser
ist öde, die Fische haben Frieden, der schmutzige Seelappe und der nordische
Fischer liegen in Erdhütten am qualmigen Feuer und warten dort im trägen
Winterschlafe, bis der neue Tag erscheint. Die Kaufleute in Hammerfesl
bringen ihre Bücher in Ordnung und dann sitzen sie wohl am Vostontische
Tag und Nacht, halten Bälle und Schmausereien, spielen sogar Komödie und
sehnen sich endlich unruhig nach der Zeit, wo der Lichtstreif im Osten hervor⸗
bricht. In Hammerfest wohnt außer den Kaufleuten kein anderer gebildeter
Mensch als ein Pastor und ein Arzt.
Die Zeit der langen Nacht ist doch nicht ganz so, wie wir sie uns vor
stellen. Die Sonne geht freilich acht Wochen unter den Horizont, und vier
Wochen lang, von Mitte December bis Mitte Januar, ist tiefe Finsterniß, s0
daß beständig Licht gebrannt werden muß. Indeß ist sie doch nicht so schwarz
daß nicht bei hellem Wetter zur Zeit der Mittagsstunde eine Art Dämmerun⸗
einträte, bei der man am Fenster eine halbe Stunde oder eine ganze lesen
könnte. Die Sterne stehen dabei glänzend hell am Himmel; Nordlichte sind
auch hier nicht so selten als mehr südlich. Ist aber trübes Wetter, so herrscht di⸗
finsterste, ununterbrochene Nacht. Mitte Januar wird die Dämmerung leichter
und ist der Tag erst einmal angebrochen, so wächst er auch rasch. Nun gleichl
die Natur den Unterschied aus, und im Juni und Juli beschreibt die Sonne
Kreise um den Himmel, ohne sich jemals vom Horizonte zu entfernen. Den
ganze Unterschied zwischen Mittag und Mitternacht ist dann, daß die Strahlen
etwas bleicher und matter werden, ohne daß sie aufhören, die belebende Wärmẽ
zu verlieren. Es ist sehr eigenthümlich, daß, so lange diese tageshelle und
sonnenvolle Nacht dauert, der Wind ganz schweigt und eine, durch nichts ge⸗
störte Ruhe in der Natur herrscht, als wolle diese dadurch die Zeit de⸗
Schlafes ankündigen. Mit dem Morgen erhebt sich der Wind wieder und die
Wetter werden losgelassen von den Nebelgeistern und Abends eingefangen
die Sonne der Nacht scheint aber oft so heiß, daß sie lästig werden kann
Ein Bekannter erzählte mir, daß, als er sich in Hammerfest auf einem