Full text: Lesebuch für die Oberklassen der Elementarschulen in Elsaß-Lothringen

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Verdeck, sein kluges Antlitz nach Westen gewandt. Er hatte kurz zuvor 
das Seukblei in's Meer gelassen und keinen Grund gefunden. „Zurück!“ 
drohten die Stimmen der Wüthenden. Columbus, der sein Leben in Ge— 
sahr und alle seine Hoffnungen und Pläne vernichtet sah, faßte sich und 
forderte den versprochenen Gehorsam. „Wir einem Abenteurer gehorchen? 
Nein, zurück! 
„Gönnt mir noch einige Tage das Leben,“ sprach er. „Wenn dann 
kein Land sich zeigt, so geschehe euer Wille!“ 
Die Empörten wurden einig, ihrem Führer noch eine kurze Lebensfrist 
zu gestatten. 
Da zogen Schwärme kleiner Landvögel an den Schiffen vorüber; Reiher, 
Pelikane und Euten schienen einem nahen Ufer zuzueilen; frische, grüne Ge⸗ 
wächse, noch nicht lange von dem Erdreich getrennt, trieben in den Wogen 
des Meeres auf und nieder; sogar ein Dornstrauch mit rothen Beeren und 
ein künstlich geschnitzter Stab zeigten sich ganz in der Nähe des Schiffes. 
Columbus stand auf dem Verdeck. Keines dieser Zeichen entging seinem 
spähenden Auge. Doch, ach! die Lebensfrist naht ihrem Ende! 
Da, es war am 11. Ottober, erhob sich ein frischer Wind. Rasch trieben 
die Schiffe dahin. Als die Dämmerung einbrach, bemerkte Columbus vor 
sich einen leuchtenden Punkt. Nach so vielen Täuschungen hielt er es ge⸗ 
ralhen, das Schiffsvolk nicht sofort darauf aufmerksam zu machen. Doch, 
als der Punkt deutlicher wurde, als man deutlich die Bewegung desselben 
auf dunklem Grunde unterscheiden konnte, theilte Columbus den Leuten 
snes Schiffes die frohe Wahrnehmung mit. In demselben Augenblicke 
donnerten die Kanonen auf dem Schiffe, das vorausgeeilt war, und 
Land, Land!“ rief es von allen Seiten. 
Und siehe! Das lang ersehnte Land lag am Morgen vor Aller Augen. 
Die Segel wurden eingezogen, und die Schiffe trieben langsam dem frem— 
den Ufer zu. Am Morgen des 12. Oltober 1492 ließ Columbus die 
Anker werfen. Er selbst bestieg sein Boot, reich in Scharlach gekleidet und 
das Banner Spaniens tragend. Die übrigen Boote machten sich gleichfalls 
zur Landung fertig. 
Columbus erreichte zuerst das Ufer. Er warf sich auf die Knie, küßte 
die Erde und dankte Gott mit Thränen der Rührung. Dasselbe thaten 
Alle, auch der roheste unter den Schiffsleuten. Dann erhob sich Columbus 
zog sein Schwert, entfaltete das königliche Banner und nahm von dem 
lenen Lande Besitz im Namen Spaniens. Seine Mannschaft mußte ihm 
als dem Mmnial und Vicekönig den Eid der Treue leisten. 
Die Eingebornen der Insel, welche noch nie solche Schiffe und weiße 
Leute gesehen hatten, schlichen aus den Wäldern hervor und starrten die 
Fremdlinge erstaunt an. Sie waren nackt, kupferfarbig, sonst von schönem 
Wuchs und freundlichen Augen. Nach und nach wurden sie dreister, 
brachlen Gold und Edelgestein und tauschten diese Dinge gegen Perlen 
und Glassnachen der Spanier aus. Sie naunten ihre Insel Guanahani; 
Columbus aber gab ihr den Namen San Salvador, d. i. Rettungsinsel.
	        
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