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25. Der arme Musikant und sein Kollege.
Ich habe mich immer recht in die Seele hinein geärgert, wenn ich das
Worl bren muß: „Man hört in unsern Tagen nichts Gutes mehr!“
Da sollte man doch wahrlich denken, unsere Zeit sei die allerschlechteste
seit Adams Tagen, und die Menschen seien allesammt Unmenschen. Ich
sagis Jedem in's Gesicht, es ist nicht wahr, wenn's auch Schufte genug
gibt. Eine schlechte That wird überall erzählt, aber wenn einmal eine
gute geschieht, schweigt man davon. Die guten Menschen legen sich damit
cht an den Laden und lassen's nicht austrompeten, wie es die Pharisäer
machten. Drum will ich auch nicht stille schweigen, wenn ich eine gute
That hier oder dort höre, und will gleich eine erzählen, die noch nicht
alt ist.
Au einem schönen Sommertag war im Prater zu Wien ein großes
Volksfest. Der Prater ist eben eine sehr große, öffentliche Gartenanlage,
voll herrlicher Bäume, und ist der Hauptspaziergaug und Belustigungs⸗
ort der Wiener. Viel Volks strömte hinaus, und Jung und Alt, Vornehm
und Gering freule sich dort seines Lebens, und kamen auch viele Fremde,
die sich an der Volkslust erfreuten. Wo fröhliche Menschen sind, da hat
auch der Etwas zu hoffen, da an die Barmherzigkeit seiner glücklicheren
Muͤmenschen gewiesen ist. So waren denn hier eine Menge Bettler,
Orgelmänner, Harfenmädchen, die sich ihren Kreuzer zu verdienen suchten
In Wien lebte damals in Juvalide, dem seine kleine Pension zum
Unlerhalte nicht ausreichte. Betleln mochte er nicht. Er griff daher zur
Violine, die er von seinem Vater erlernt hatte, der ein Böhme gewesen
war. Er spielte unter einem alten Baum im Prater, und seinen treuen
Pudel hatte er so abgerichtet, daß der vor ihm saß und den alten Hut
im Munde hielt, in den die Leute die paar Kreuzer warfen, die sie ihm
geben wollten. Heute stand er auch da und siedelte, und der Pudel saß
bor ihm mit dem Hute; aber die Leute gingen vorüber, und der Hut
blieb leer. Hätten die Leute ihn nur einmal angesehen, sie hütten Barm—
herzigkeit mit ihm haben müssen. Dünnes, weißes Haar bedeckte kaum
seinen Schädel; ein alter, fadenscheiniger Soldatenmantel war sein Kleid.
Gar manche Schlacht hatte er mitgekämpft, und fast jede hatte ihm in
er Narbe einen Denkzettel angehängt, bei dem für das Verlieren keine
Sorge nöthig war. Nur drei Finger an der rechten Hand hielten den
Bogen. Eine Kartätschenkugel hatte die zwei andern bei Aspern mitge—
nommen, und fast zu gleicher Zeit nahm ihm eine größere Kugel das
Bein weg. Und doch sahen heute die fröhlichen Leute nicht auf ihn, und
er hatte doch für den letzten Kreuzer Saiten auf seine Violine gekauft
ind spielte mit aller Kraft seine Alten Märsche und Tänze. — Trübe
und traurig sah der alte Mann auf die wogende Menschenmasse, auf die
fröhlichen Gesichter, auf die stolze Pracht ihres Putzes. Bei ihrem Lachen
drang ein Stachel in seine Seele — heute Abend mußte er hungern auf