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R. Bilder aus der Ferne.
Den Majestäten voran ritt ein Zug türkischer Kavallerie und eine türkische
Militärkapelle; im Gefolge befanden sich Abteilungen der kaiserlichen Leib—
gendarmerie und Matrosen der „Hohenzollern“; der ganze Zug bot ein so
großartiges Bild, daß es in seinem Glanz und Farbenreichtum, seiner Kraft
und Würde wohl mit der vielgepriesenen Pracht des Morgenlandes in Wett⸗
streit treten konnte. Der endlose Begrüßungsjubel des Volkes, das türkische
„Ischog Jascha“ Viele Jahre!) und deutscher Hurraruf durchbrausten die Luft.
Bald hinter dem Jaffatore machte der Zug Halt; die kaiserlichen Maje—
stäten begaben sich zu Fuß durch die mit Zweigen bestreuten engen Gassen der
innern Stadt zur Grabeskirche, wo sie von den geistlichen Würdenträgern
der verschiedenen Bekenntnisse feierlich begrüßt wurden. Nach einem stillen
Gebet an der Stätte, wo einst der Welt Heiland in jener Felsengruft des
Joseph von Arimathia geruht, begab sich das Herrscherpaar nach dem
Muristanpalaste, wo sie von den weltlichen Würdenträgern der Stadt
und der Regierung empfangen wurden.
Der folgende Sonntag war dem Besuche Bethlehems gewidmet, wo
das Kaiserpaar einer Andacht in der Geburtskirche und der Einweihung des
neuerbauten deutschen Waisenhauses beiwohnten. Nach Jerusalem zurück—
gekehrt, pilgerte es gegen Abend an dem auf dem Tempelplatze erbauten
herrlichen Felsendome vorüber durch das Tal Josaphat zum Ölberge
hinaus, an dessen Fuß der Garten Gethsemane liegt, der heute noch Ol—
bäume trägt, die einst Zeugen der Leidensnacht des Erlösers gewesen sind.
Wie einst der edle, heimgegangene Kaiser Friedrich durchlebte hier auch der
Sohn und dessen fromme Gemahlin alle die andachtsvollen Schauer dieser
heiligen Stätten.
Am 31. Oktober vormittags ward die Einweihung der Erlöserkirche
vollzogen, eine tiefergreifende Feier, die allen Teilnehmern unvergeßlich bleiben
wird. Kaiser Wilhelm hielt vom Platze vor dem Altar aus eine Ansprache,
in der er der Bedeutung der vollzogenen Weihe des Gotteshauses in herrlichen
Worten Ausdruck lieh; er sagte: Jerusalem, die hochgebaute Stadt, in der
unsre Füße stehen, ruft die Erinnerung wach an die gewaltige Erlösungstat
unsers Herrn und Heilandes. Sie bezeugt uns die gemeinsame Arbeit, welche
alle Christen über Konfessionen und Nationen hinweg in apostolischem Glauben
eint. Die welterneuernde Kraft des von hier ausgegangenen Evangeliums
treibt uns an, ihm nachzufolgen, sie mahnt uns in glaubensvollem Aufblick
zu dem, der für uns am Kreuze gestorben, zu christlicher Duldung, zur Be⸗
tätigung selbstloser Nächstenliebe an allen Menschen. Von Jerusalem kam
der Welt das Licht, in dessen Glanze unser deutsches Volk groß und
herrlich geworden ist. Was die germanischen Völker geworden sind, das
sind sie geworden unter dem Panier des Kreuzes auf Golgatha, des Wahr—