Aus Schillers Leben.
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4. „Die goldne Rette gib mir
nicht;
die Rette gib den Rittern,
vor deren kühnem Angesicht
der Feinde Lanzen splittern.
Gib sie dem Ranzler, den du
hast,
und laß ihn noch die goldne Cast
zu andern Casten tragen!
5. Ich singe, wie der Vogel
singt,
der in den Zweigen wohnet;
das Cied, das aus der Rehle
dringt,
ist Cohn, der reichlich lohnet.
Doch darf ich bitten, bitt ich eins:
laß mir den besten Becher Weins
in purem Golde reichen!“
6. Er setzt' ihn an, er trank ihn aus:
„O Trank voll süßer Labe!
O wohl dem hochbeglückten Haus,
wo das ist kleine Gabe!
Ergeht's euch wohl, so denkt an mich,
und danket Gott so warm, als ich
für diesen Trunk euch danke!“
Wolfgang v. Goethe.
194. Aus Schillers Leben.
1. Johann Christoph Friedrich von Schiller wurde am 10. No—
vember 1759 zu Marbach in Württemberg geboren, während sein Vater
im Kriege war. Daher blieb das Kind anfangs unter der besondern Pflege
seiner Mutter, einer sanften, frommen, gemütreichen Frau. Erst drei Jahre
nach der Geburt des Knaben kehrte der Vater aus dem Kriege zurück. Er
war ein strenger, ordnungsliebender, pflichttreuer Hauptmann, der in Hinsicht
auf seine Redlichkeit und Gottesfurcht als Muster dienen konnte.
Schon in früher Jugend war Fritz auf alles, was er lernen konnte,
ungemein aufmerksam. Er hörte gern zu, wenn der Vater im Familien⸗
kreise vorlas, und eilte von seinen liebsten Spielen zu Bibelandacht und
Gebet herbei. Mit den blauen Augen, den hochblonden Locken um die helle
Stirn und den gefalteten Händchen war das Kind wie ein Engel anzu—
schauen. So schilderte ihn die ältere Schwester, die er besonders liebte.
Folgsamkeit und Nachsicht gegen Geschwister und Gespielen zeichneten schon
den Knaben aus. Den mächtigsten Einfluß auf Gemüt und Geist übte bei
ihm die Mutter aus. An Sonntagnachmittagen pflegte sie ihren beiden Kindern
das Evangelium des Tages auszulegen; einst, am Ostermontage, rührte sie
durch die Erzählung von Christus und den beiden nach Emmaus wandernden
Jüngern die beiden Geschwister zu heißen Tränen. Oft unterhielt sie die
Kinder auch mit Zaubermären und Feengeschichten; später, als es die