Ostrom 450—526.
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3. Anastasius (491 — 518), welcher durch Ariadne's Hand erhoben
wurde, bewärte auch auf dem Thron die Bravheit seines Lebens, hatte aber
in vieler Hinsicht eine traurige Negierung. Die isaurische Leibwache Zenos
erhob sich für dessen Bruder und als sie in der Hauptstadt niedergemetzelt war,
stand das bis jetzt noch keiner Regierung dauernd gehorsame Volk in der Heimat
zum Rachekampf aus. Ein langwieriger blutiger Krieg (—498) bezwang
dasselbe und brachte Kleinasien, obgleich noch einzelne Aufstände vorkamen,
Sicherheit vor den kühnen Ränbern'). Die kirchlichen Streitigkeiten arteten
zuletzt in eine offne Empörung unter Vitalianus aus, bis Anastasius den
katholischen Lehrbegriff nach Inhalt und Form 514 in sein Recht einsetzte.
Das Volk der Hauptstadt war schon längst dem Pöbel des alten Rom ähnlich
geworden, Schaugepränge und die Spiele der Rennbahn seine höchste Lust.
Große Gesellschaften hatten sich für dieselben zusammengethan und nannten
sich nach den Abzeichen der Wagenlenker die Blauen, die Grünen, die Weißen,
die Roten. In ihnen fanden alle Agitationen einen Halt, die Partein des
Circus wurden politische und kirchliche Factionen. Die wichtigsten Interessen
hiengen mit den Zufälligkeiten der Wagensiege zusammen. Nachdem die Ost¬
goten, mit denen übrigens feindselige Berührung nicht ausblieb (s. § 59, 5),
die Donaugegenden verlassen, traten dort neue, weit wildere und rohere Völker
auf. Türkische Horden unter dem Namen Awaren (Uiguren) wanderteu
in sich mehrender Zahl nach und nach über den Ural, vermischten sich mit vielen
andern Stämmen und vertrieben die dortigen finnischen Stämme, welche nun
die Akatsiren (Chasaren) unterwarfen und unter dem Namen Bulgaren'-)
plündernd und mordend zur Donau drangen. Eine große Menge von Festungen
muste mit bedeutenden Kosten an der Grenze errichtet werden, doch ward dem
von ihnen zu gewärenden Schutz so wenig vertraut, daß Anastasius eine sechs¬
zehn Stunden lange Mauer von der Propontis zum schwarzen Meer führte,
um die prächtigen Gärten und Landhäuser'in Constantinopels Umgegend vor
plötzlichen Raubzügen zu sichern. Wenn bei solchen Ausgaben dem Kaiser
trotz erheblicher Minderung der Steuern dennoch die Sammlung eines be¬
trächtlichen Schatzes gelangt), so wird man seinen Regententugcnden freudig
Lob zollen.
4. Anastasius Neffen Hppatins wollte der Eunuch Amantius die Thron¬
folge entwinden und legte dem Befehlshaber der Leibwache Justinus, der aus
Jllyrien gebürtig, nachdem er das Hirtenleben mit dem Schwert vertauscht
hatte, durch Tapferkeit zu den höchsten Ehrenstellen emporgestiegen war, eine
bedeutende Summe in die Hände, um seine Untergebnen für seinen Thron-
candidaten zu gewinnen, jener aber benutzte schlau das Geld für sich und
ward als tapfer und freigebig vom Heer, als rechtgläubig von Kirche und
Volk freudig mit dem Purpur geschmückt (Justinus 1 518—527). Amantius
und seine Anhänger wurden hingerichtet und der einflußreiche Vitalianus
(ob. 3) nach der Hauptstadt gelockt und meuchlings ermordet. Mit eifrigster
Strenge wurden nach Aufhebung des Henotikon (519) (ob. 3) alle ketzerischen
Abweichungen geahndet und die Verbindung mit der römischen Kirche wieder
hergestellt^). Der selbst des Schreibens unkundige, ganz ungebildete und
hochbetagte Kaiser wurde in der Negierung zuerst von dem Quästor Proklos
1) Gibbon S. 1373 f. — 2) Neumann: die Völker des südlichen Rußlands
S. 90 ff. Der Name Vulgär wird S. 92 Anm. 7 als schon früher im Armenien
bekannt nachgewiesen. Sonst leitete man ihn vom lateinischen vulgaris ab. Vgl.
auch Büdinger Gesch. v. Ostreich. I. — 3) Gibbon S. 1358. — 4) S. § 59
4 a. E.
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