Full text: [Teil 3, [Schülerband]] (Teil 3, [Schülerband])

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dicht am andern; unter den Brücken fährt man durch, zwischen Gon— 
deln, Schiffen, Barken fährt man wie auf einem Pfeile hin, daß im 
größten Gedränge die eine Gondel die andere kaum berührt. In 
manchen ziemlich engen Kanälen gehen drei Gondeln nebeneinander so 
schnell vorbei, als wenn man aneinander vorüberflöge. Die Damen 
sitzen mit ihren Herren darin, und sie haben es zehnmal bequemer, als 
wenn sie in den Kutschen gerüttelt würden. In Venedig sind keine 
Kutschen. Alles wiegt sich in Gondeln, was nicht über die Brückentreppe 
auf und ab laufen will. Es ist eine sonderbare Stadt, die gleichsam 
aus dem Meere emporsteigt, voll Gedränges von Menschen, voll Fleiß 
und Betrügerei. Es ist mir lieb, daß ich sie gesehen habe. Morgen 
geht's nach Padua, auch zu Wasser, dann weiterhin zu Lande und 
endlich zweimal über die Berge, bis ich bei Euch bin und Euch 
wiedersehe. 
Lebt wohl, Ihr Lieben, lebt wohl! Ich sehe Euch bald; bchaltet 
mich lieb, wie ich Euch liebhabe. Gebt alle sechs der Mutter einen 
Kuß in meinem Namen und seid hübsch artig und gehorsam! Lebt 
wohl, Ihr Lieben! Johann Gottfried von Herder. 
220. Ein Präriebrand. 
1. Der liebliche Spätherbst hatte eine Anzahl Reisender eingeladen, 
in der Prärie von den Pferden zu steigen und bei einem Mittagsmahle, 
aus einem köstlichen Büffelrücken bestehend, einige Stunden behaglicher 
Ruhe zu pflegen. Die Natur selbst scheint eine Feierstunde zu halten. 
Üüber das unermeßliche, goldene Meer der gelb gewordenen Präriegräser 
und Blumen streift ein kaum merklicher Westwind, und das gegenseitige 
Neigen der Stengel scheint ein vertrauliches Gekose derselben zu be— 
wirken. Die ganze unermeßliche Prärie liegt schweigend, als ob sie 
raste oder Mittagsruhe halte, während das majestätische Gestirn des 
Himmels, bereits den Scheitelpunkt seines Laufes hinter sich, nach dem 
Westen sich neigt. Gemütlich plauderten die Jäger oder Reisenden von 
der Jagd auf den Prärien und den Gefahren, die sie bestanden. Sieh, 
da werden ihre Pferde auf einmal unruhig, toll und suchen mit aller 
Gewalt sich loszureißen von dem Lasso und zu entfliehen. „Auf! 
auf!“ ruft der erfahrene Gabriel, „auf, ihr Freunde! Schnell die 
Pferde gesattelt! Rettet euer Leben! Die Prärie steht in Flammen, 
und die Büffel jagen gegen uns heran!“ 
Da waren keine Worte zu verlieren; alle sprangen auf, es galt 
das Leben! Nur die schnellste Eile kann retten! In einer Minute sind 
die Pferde gesattelt, in der zweiten jagen die Reiter schon über die 
Prärie hin. Es bedarf nicht des Antreibens der Pferde; der Natur— 
trieb lehrt diese Tiere die drohende Gefahr kennen, und von selbst tun 
sie das Äußerste, sich durch die Flucht zu retten. 
Eine Stunde lang jagen die Geängstigten mit unverminderter 
Schnelligkeit fort; da fühlen sie plötzlich, daß die Erde hinter ihnen 
zittert, und bald schlägt das entfernte Gebrüll und Geheul und todes⸗ 
ängstliche Geschrei zahlloser Tiere an das erschreckte Ophr. Immer
	        
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