eben Erklingende mit voller Seele genießen zu können. Und wenn
dann die Nacht hereinbricht, wenn der Mond sein Zauberspiel
treibt mit Blaͤttern und Blüten, wenn alle andern Vögel längst in
den Banden des Schlafes liegen, wenn kein Lufthauch die Stille
der Nacht unterbricht, wenn kein Ton der himmlischen Weise dem
lauschenden Ohre verloren geht, — dann muß jedes Menschenherz
der Gewalt sich ergeben, welche die Dichtung selbst auf das rohe
Gemüt ausübt; aller Glanz und Schimmer des Wonnemonats
Mai ist dann in das Herz eingezogen.
7. ÄAltere Männchen schlagen stets reichhaltiger und voll⸗
ständiger als jüngere, und jede Gegend hat ebenfalls ihren eigenen
Gesang. Wie aber auch eine Nachtigall schlagen mag, immer
werden durch sie alle übrigen Singvögel in den Schatten gestellt,
obwohl sie zuweilen von der Nachtigall einzelne Töne annehmen,
Der Wert einer Nachtigall wird dadurch besonders erhöht, daß
sie auch des Nachts eifrig schlägt. Dies tun keineswegs alle,
sondern nur einige hochbegabte, die sogenannten Nachtschläger,
welche zu einem wahren Schatze für die Gegend werden. Schade
nur, daß der Nachtigallengesang so kurze Zeit in höchster Vollendung
blüht, denn schon gegen den Johannistag hin verstummen die
wunderbaren Sänger.
8. Das Nest der Nachtigall ist ein sehr einfacher Bau und
befindet sich meistens nahe am Boden in dichtem Gestrüpbp. Anfangs
Mai legt das Weibchen vier bis fünf ziemlich große, glattschalige,
blaßmeergrüne, graubraun getüpfelte Eier, und Maͤnnchen und
Weibchen bebrüten sie wechselseitig vierzehn Tage lang. Die Jungen
sind nach ungefähr drei Wochen flügge, und die Männchen beginnen
nun bald, sich in der edlen Gesangeskunst zu üben, und zwitschern
ihrem Vater seine Lieder nach. Leider werden gar viele dem
Raubzeuge zur Beute. Der Mensch verfolgt sie bei uns nur, um
sie für den Käfig zu erhalten; Spänier und Italiener aber opfern
sie gleich andern Singvögeln rücksichtslos dem Magen. Doch
kommen immer noch viele glücklich davon und genießen ein Leben,
welches uns beneidenswert erscheinen will.
258. Die Eiderente.
Alfred Brohm.*
Vom Nordpol zum Aquator. Stuttgart, Berlin, Leipzig. [1890.1 8.7.
1. Keine andre Entenart ist in so vollgültigem Sinne Meeres⸗
bewohner wie die Eiderente; keine watschelt schwerfälliger am
Lande dahin, keine fliegt minder gewandt, keine schwimmt rascher,
keine taucht geschickter und tiefer als sie. Bis fünfzig Meter sinkt
sie der Nahrung halber unter die Oberfläche hinab, und bis fünf
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