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finden Pflanzen und Tiere außer dem unentbehrlichen Wasser auch
noch Schutz gegen die furchtbaren Wüstenwinde. Ein üppiger Pflanzen—
wuchs erfreut in der Dase das in der nackten Einöde von ewigem
Sonnenglanz ermüdete Auge des Wanderers. Unter und zwischen den
Dattelpalmen wachsen oft Granaten und Orangen, und Durra und
Gerste werden gezogen, wo nur ihr Anbau möglich ist. Mit kluger
Sparsamkeit errichten die Dasenbewoͤhner ihre Hütlen auf unfruchtbaren
Boden am Saume der Wüste, um auch keinen Fuß brei ergiebiger
Erde zu verlieren. Die weiten Sandflächen, wo höchstens nur arm—
selige halb verdorrte Gewächse gedeihen, bilden den vollkommenften
Gegensatz zu den grünenden Inseln der Wüste. Einsamkeit und Tod
herrschen in diesen schrecklichen Wildnissen. Mit dem Wassermangel,
der die nackte Einöde erzeugt, hängt übrigens eine eigentümlche
Schönheit der Wüste zusammen, die herrliche Klarheit der Luft und
ihre überraschende Durchsichtigkeit, welche meilenweit abseits gelegene
Erhöhungen nur wenige Kilometer entfernt erscheinen läßt. Die Her—
stellung von Wegezeichen macht aus diesem Grunde nur geringe
Schwierigkeiten, ein Steinhäufchen, unter Umständen sogar der Unter—
liefer eines Kamelskeletts genügen, um den Karawanent) als weithin
sichtbares Ziel zu dienen. Höchst selten versteckt sich die Sonne in der regenlosen
Wüste hinter dichtes Gewoͤlk, meist sendet sie ihre erwärmenden Strahlen von
einem liefblauen, vollkommen klaren Himmel herab. Ist sie am purpur—
gefärbten westlichen Horizont verschwunden, und steigt die volle Mondscheibe
herauf, so liegt die Wüste fast taghell vor dem überraschten Beschauer da.
Hat sich der Himmel mit Sternen bedeckt, so haftet das Auge unwillkürlich
an dem dunkeln, mit tausend glänzenden Punkten übersäeten Gewölbe.
Für den einsamen Reisenden ist diese nackte Wildnis dennoch nicht
ohne Reiz. Über seinem Haupte ein Himmel, schrecklich in feinem
blendenden Glanze, rings umher zusammengewehte Sandhaufen, auf
welchen jeder Windhauch seine Spuren zurückläßt, nackte Felsen und
weite ununterbrochene Ebenen, die man mit dem Gedanken durcheilt, daß
das Bersten eines Wasserschlauchs oder das Lahmwerden eines Kamels
ein Todesurteil wäre, ein fürchterliches Land, von wilden Tieren
und noch wilderen Menschen bewohnt. Deshalb schlägt des Menschen
Herz höher bei dem Gedanken, seine winzige Kraft gegen die riesige
Gewalt der Wüste zu messen und als Sieger aus dem Kampfe hervor
u gehn, und daher kommt es, daß trotz aller Entbehrungen und Müh—
m die er erduldet haben mag, der Reisende, der einmal durch
die Wüste wanderte, sich ihrer stets mit Sehnsucht erinnert.
Die Wüste ist das Bild der Unendlichkeit. Kein Ort der Welt
ist geeigneter, religiöse Gefühle zu erwecken, und keine Zeit dazu taug—
licher als die stille einsame Nacht. Wer in der Wüste die Stimme
Gottes nicht hört, kennt nicht den Allmächtigen und steht tief unter
dem Kameltreiber, der nach der mühevollen Tagesarbeit andächtig im
Sande niederkniet und Allah?) und seinen Propheten') preist.
. Die Karawane, eine Gesellschaft von Kaufleuten oder Pilgern, welche in
Gemeinschaft reisen. ) Allah (arabisch), Gott. ) Muhammed.
Engelien& Fechner, Lesebuch O. II.
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