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mich nicht abschrecken; ich will hindurch und das schöne Dornröschen sehen.“
Der Alte mochte ihm abraten, wie er wollte, er hörte gar nicht darauf.
Nun waren aber gerade an dem Tage, wo der Königssohn kam, die hun—
dert Jahre verflossen, und als er sich der Dornhecke näherte, waren es lauter
große, schöne Blumen, die thaten sich von selbst auseinander, daß er unbe—
schädigt hindurchging und hinter ihm thaten sie sich wieder als eine Hecke
zusammen. Er kam ins Schloß: da lagen im Hofe die Pferde und scheckigen
Jagdhunde und schliefen; auf dem Dache saßen die Tauben und hatten das
Köpfchen unter den Flügel gesteckt. Und als er ins Haus kam, schliefen die
Fliegen an der Wand, der Koch in der Küche hielt noch die Hand, als wollte
er den Jungen anpacken, und die Magd saß vor dem schwarzen Huhn, das
sollte gerupft werden. Da ging er weiter und sah im Saale den ganzen Hof⸗
staat liegen und schlafen, und oben bei dem Throne lag der König und die
Königin. Da ging er noch weiter, und alles war so still, daß einer seinen
Atem hören konnte, und endlich kam er zu dem Turm und öffuete die Thür
zu der kleinen Stube, in welcher Dornröschen schlief. Da lag es und war
so schön, daß er die Augen nicht abwenden konnte, und er bückte sich und
gab ihm einen Kuß. Wie er es mit dem Kusse berührt hatte, schlug Dorn—
röschen die Augen auf, erwachte und blickte ihn ganz freundlich an. Da
gingen sie zusammen hinab, und der König erwachte und die Königin und der
ganze Hofstaat und sahen einander mit großen Augen an. Und die Pferde
im Hof standen auf und rüttelten sich; die Jagdhunde sprangen und wedelten;
die Tauben auf dem Dach zogen das Köpfchen unterm Flügel hervor, sahen
umher und flogen ins Feld; die Fliegen an den Wänden krochen weiter; das
Feuer in der Küche erhob sich, flackerte und kochte das Essen, und der Braten
brutzelte fort, und der Koch gab dem Jungen eine Ohrfeige, daß er schrie, und
die Magd rupfte das Huhn fertig. Und da wurde die Hochzeit des Konigs—
sohnes mit dem Dornröschen in aller Pracht gefeiert, und sie lebten vergnügt
bis an ihr Ende. J. u. W. Grimm.
21. Die beiden Hunde.
Ein Junker hielt sich ein Paar Hunde,
Es war ein Pudel und sein Sohn.
Der junge, Namens Pantalon,
Vertrieb dem Herrchen manche Stunde.
Er konnte tanzen, Wache stehn,
Den Schubkarrn ziehn, ins Wasser gehn,
Und alles dieses aus dem Grunde.
Der schlaue Fritz, des Jägers Kind,
War Lehrer unsers Hunds gewesen,
Und dieser lernte so geschwind,
Als mancher Knabe kaum das Lesen.
Einst fiel kleinen Junker ein,
Es müsse noch viel leichter sein,
Den alten Hund selehrt zu machen.
Herr Shnurt wan sonst ein gutes Vieh,
Doch seine Herrschaft zog ihn nien
Zu solchen hochgelehrten Sachen.
Er lonnte bloß das daus bawachen.
Der Knabe nimmt ihn vor die Hand
Und stellt ihn aufrecht an die Wand
Alein der Hund fällt immer wieder
Auf seine Vorderpsoten nieder.
Man rufet den Professor Fritz;
Auch der erschöpfet seinen Wiß
Umsonst; es will ihm nicht gelingen,
Den alten Schüler zu bezwingen.
„Vielleicht,“ spricht Fritz, hilft hier derStock.“
Er holt den Stock er prügelt Schnurren;
Doch bleibt er steifer als ein Bock,
Und endlich fängt er an zu murren.
„Was wollt ihr ?“ sprach der arme Tropf;
Ihr werdet meinen grauen Kopf
Doch nimmermehr zum Doktor schlagen.
Geht, werdet durch mein Beispiel klüg,
Ihr Kinder, lernet jetzt genug,
Ihr lernt nichts mehr in alten Tagen.
Pfeffel.