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85. Der Seilerjunge.
Es war um das Jahr 1617 im März. Auf den Werften von Vlissin—
gen gestaltete sich ein reges Leben. Die hohen Fluitschiffe erhielten einen neuen
Farbenschmuck, ihre Takelage wuchs zusehens in die blaue Luft hinein, und
von der Gaffel wehte die stolze Flagge der sieben vereinigten Provinzen. In
den großen Magazinen scharwerkten die Matrosen unter der Aufsicht ihrer Of—
fiziere und rollten die Proviantfässer nach den Böten, während an der andern
Seite, die nach der Stadt zuführte, tausend Hände beschäftigt waren, die nö—
tigen Wasservorräte herbeizuschaffen. Auf den großen Reepschlägerbahnen
der Gebrüder Lampfin lagen Taue aufgeringelt, vom schwersten Ankertau
bis zum leichtesten Kabel, in solcher Menge, daß eine Flotte zehn Jahre daxan
genug hatte, und doch wurde überall so fleißig gesponnen, als könne keine
Heringsbüse auslaufen, bevor sie nicht hier neue Fangleinen und Angelschnüre
gemacht hätten.
Der Werkmeister, ein stämmiger, vierschrötiger Kerl, hatte seine Augen
überall; er stieß die Seilerknechte in die Rippen, wenn sie den Faden nach
seiner Meinung nicht glatt und fein genug spannen, und ließ ein kurzes Tau—
ende unsanft auf den Rücken der kleinen Seilerjungen niederfallen, wenn sie
das Rad nicht stets im vollen Schwunge drehten.
Da kam ein kleines, zusammengedrücktes Männchen mit breitkrämpigem
Hute und weiten Schifferhosen daher. Sein Oberkörper war in eine abgetra—
gene Friesjacke geknöpft, und in jeder Hand trug er einen Korb mit wohlge—
pfropften Bierkrügen. Er nahte sich schüchtern dem polternden Werkmeister
und sragte leise, ob vielleicht neuer Vorrat nötig sei.
„Was da! Was giebt's?“ rief dieser und rannte in seinem Eifer den
kleinen Bierzapfer beinahe über den Haufen. „Aha! seid- Ihr's, Adrian de
Ruyter? Euer Bier wird alle Tage schlechter und die Stüber immer rarer.
Wenn Ihr Euch nicht bessert und der Verdienst nicht bedeutender wird, habt
Ihr meine Kundschaft am längsten gehabt.“
„Ach, lieber Herr,“ entgegnete Adrian de Ruyter und setzte die schwe—
ren Körbe auf die Erde, „das solltet Ihr nicht sagen. Euer Verdienst mag
nicht so groß sein, wie Ihr ihn wünscht und verdient; aber mein Bier ist
gut, und es ist nicht wohlgethan, so verächtlich davon zu reden, weil ich da—
durch meine Kundschaft verliere; denn was Ihr thut, machen die andern nach.
Ist ein saures Brot, das Brot eines Bierzapfers, der sich viel muß herum—
stoßen lassen und oft das Seinige verliert durch die Bierprobe und schlechte
Zahler.“
„Nun, flennt nur nicht wie ein altes Weib!“ brummte der Werkmeister,
„und setzt mir ein Dutzend von den Krügen in mein Schauer; meine Grietje
wird Euch das Geld geben und Euch nicht durch Borgen ruinieren! — Frisch,
fort an die Arbeit!“
Er trieb damit einige Seilerknechte vor sich her, die ebenfalls herbeige—
kommen waren, um einen Krug mit Bier zur Erquickung zu erhaschen. Der
Bierzapfer bediente seine Kunden mit möglichster Schnelle, und gut gelaunt
über die vielfachen, unerwarteten Barzahlungen griff er nach einem größern
Kruge, reichte ihn dem Werkmeister und sagte flüsternd: „Das ist ein abson—
derlicher Tropfen für Euch; habt die Güte und sagt mir, was macht mein
Sohn? führt er sich gut auf und profitiert er im Gewerke?“
„Hört, Adrian!“ sagte der Werkmeister barsch, „behaltet Euer Bier; ich
Oldenb. Volksschullesebuch. 7. Aufl.