Prosa. — Betrachtende Abhandlung. 269
an Weichheit und Süßheit gegen die wälsche verliere, an der Stärke und dem
Nachdrüclichen, so sie vor derselben voraus habe, reichlich wieder gewinnen
lönne. Kurz, unverblendet von Parteilichkeit für seine Muttersprache, behauptete
dieser einsichtsvolle Mann, es werde nur darauf ankommen, daß ein deutscher
Dichter der sich seiner Sprache zu bedienen wisse und die Kunst besitze, so viel
Wohlklang und Tatt in sine Verse zu bringen, daß das bloße Sprechen der—
Plben schon Musik sei) sich mit einem Tonsetzer vereinige, der den Dichter vol—
lig empfinde und verstehe und in seinem Fache das sei, was jener in dem sei—
nigen: so würden sie der deutschen Sprache und Musik einen Triumph ver⸗
schaffen können, von dessen bloßer Möglichkeit sich vielleicht die wenigsten deutschen
Dichter etwas traumen leßen
u Und dieses Vorzugs vor andern Völkern wollten wir uns nicht zu einer
ellegenheit bedienen ) Unsere alten Barden haben Wunder mit einer unge—
ildeten Sprache gethan, anderthalb Jahrtausende drauf Luther mit einer ver—
wahrlosten.
Wir sind nicht das einzige Volk, das Lieder durch Gesang begeistert haben.
Tyrtäus, der Rolandsgesang noch unter Wilhelm dem Eroberer, Ossians Lieder
bis auf Macphersons Erweckung zeugen für die Macht des Gesanges. „Kampf
ne Sang hat keinen Drang“, war Heinrichs des Löwen Wahlspruch. Wenn
Kopstoc auch den Verfasser des Marseiller Freiheitsliedes zu wichtig machte,
als er ihm sagte: „Sie sind ein gefährlicher Mann, mehr als 50,000 Deutsche
haben Sie exschlagen!“ — so könnte vielleicht doch noch einst ein vaterländischer
Dichter den Heerbann begeistern und Siege ersingen. Der Deutsche singt gern
und oft, wenn er es auch lange hindurch nur in Kirchen und auf Heerstraßen
ben durfte. Er singt auch gern bei der Arbeit; so waschen im großen
Vaschhause der Bielefelder Leinwandsbleichen funfzig Mädchen nach dem Takt
des Gesanges.
Unglückliches Deutschland! Die Verachtung deiner Muttersprache hat sich
fürchterlch gerächt. Du warst schon längst, dir unwissend, durch eine
semde Sprache besiegt, durch Fremdsucht ohnmächtig, durch Götzendienst des
AUuslande⸗ entwürdigt! Nie hätte dein Ueberwinder so vielfach in einem andern
Lande gesiegt, wo die Vergötterung seiner Sprache nicht mitgefochten.
In seiner Muttersprache ehrt sich jedes Volk, in der Sprache Schatz ist
die Urtunde seiner Bildungsgeschichte niedergelegt, hier waltet, wie im einzelnen,
das Sinnliche, Geistige, Sittliche. Ein Volt, das seine eigene Sprache ver—
lernt, giebt sein Stimmrecht in der Menschheit auf und ist zur stummen Rolle
auf der Völkerbühne verwiesen. Mag es dann aller Welt Sprache begreifen
Und übergelehrt bei Babels Thurmbau zum Dolmetscher taugen, es ist kein
Volk mehr, nur ein Mengsel von Staarmenschen.
Achtung der Volkssprache hat Sieger und Herrscher gemacht, Verachtung
lingegen und Unbekannischaft Throne gestürzt und große Pläne verhindert.
De Kenninis von der Ursprache Spaniens derdankte Hamilkar seine dortigen
Siege. Sprachkenntnis verschaffte dem Mithridates frische Heere und Völker,
wenn die alten erlagen. Gustav III. der große Redner, konnte nicht fertig fin⸗
nisch — das verhinderte die Zerstörung von Petersburg. Welche Nachtheile
hat Oesterreich davbon gehabt, daß Joseph U. die ungarische Sprache ausrotten
wollte! Kaiser Karl N. gab in der goldnen Bulle das Gesetz, daß jeder Kur—
fürst böhmisch versiehen sollte. Das war zu viel; aber daß jeder Fürst mit
jsedem Unterthan in seiner Muttersprache reden könnte, wäre billig. Hätten Eng—