22 Prosa. — Geistliche Rede.
lebendigen schweigen), an denselbigen labe und tröste dich und denke: Gott ehrete
um eines Mannes Lot willen die ganze Stadt Zoar und um eines Naaman
willen das ganze Land Syria und um eines Joseph willen das ganze König—
reich Aegypten: warum wolltest du nicht auch den ganzen Adel ehren um vieler
Edelleute willen, deren du ohne Zweifel viele vor dir hast? Und wenn du die—
selbigen ansiehest, mußt du denken, es sei kein böser mehr da. Wie käme der
schöne Baum, der liebe Adel, dazu, daß nicht auch ungeistige Früchte davon
fallen, und etliche nicht auch wurmstichig oder warzicht sein solllen? Der Baum
ist darum nicht verdammt und böse.
Also thun die Kinder Gottes; denn Gott selbst verschonet das ganze mensch⸗
liche Geschlecht um eines Menschen willen, der Jesus Christus heißt. Sollte
er die Menschen ansehen allein, so wäre eitel Zorn da. Doch soll Predigtamt
und weltliche Obrigkeit solches nicht thun, daß sie kein Böses wollten achten,
noch ansehen; denn sie sollen die Bösen strafen, jenes mit dem Worte, diese
mit dem Schwert. Ich rede jetzt mit einzelnen Personen als mit Christen, daß
sie lernen sollen unterscheiden, was Gottes Werk sei, und was Menschen Bos—
heit sei. Es sind in allen göttlichen Aemtern und Ständen viel bbser Men—
schen; aber der Stand ist und bleibet dennoch gut, wie hoch auch die Menschen
dies misbrauchen. Man findet viel böser Weiber, viel falscher Knechte, viel
untreuer Mägde, viel schädlicher Amtleute und Räthe; aber nichtsdestoweniger
ist Frauenstand, Knechte und Mägdestand und alle AÄemter gleichwohl Gottles
Stift, Werk und Ordnung. Die Sonne bleibt gut, obwohl die ganze Welt
derselbigen mißbrauchet, einer zu rauben, einer zu morden, einer dies, der andere
das Uebel auszurichten. Und wer könnte etwas Uebles thun, wo ihm die Sonne
nicht dazu leuchtete, die Erde trüge und ernährete, die Luft erhielte, und Gott
selbst ihn behütete? Es heißt und bleibet: Omnis creatura subiecta est vani-
tati, sed non volens. Röm. 8, 20.
Es meinen wohl etliche, das Schreiberamt sei ein leicht, geringe Amt,
aber im Harnisch reiten, Hitze, Frost, Staub, Dunst und ander Ungemach leiden,
das sei eine Arbeit; ja, das ist das alte, gemeine, tägliche Liedlein, daß keiner
siehet, wo den andern der Schuh drückt; jedermann fühlet allein sein Ungemach
und gaffet auf des andern gut Gemach. Wahr ist's, mir wäre es schwer, im
Harnisch zu reiten; aber ich wollte gerne auch wiederum den Reiter sehen,
der mir könnte einen ganzen Tag still sitzen und in ein Buch sehen, wenn er
schon nichts sorgen, dichlen, denken, noch lesen sollte. Frage einen Kanzleischreiber,
Prediger und Redner, was Schreiben und Reden für eine Arbeit sei; frage
einen Schulmeister, was Lehren und Knabenziehen für eine Arbeit sei! Leicht
ist die Schreibfeder, das ist wahr, ist auch kein Handzeug unter allen Hand⸗
werken baß zu erzeugen, denn der Schreiberei; denn sie bedarf allein der Gänse—
Fittiche, deren man allenthalben genug findet: aber es muß gleichwohl das beste
Stück (als den Kopf) und das edelste Glied (als die Zunge) und das höchste
Werk (als die Rede), so am Menschenleibe sind, hier herhalten und am meisten
arbeiten, da sonst bei andern entweder die Faust, Füße, Rücken oder dergleichen
Glieder allein arbeiten, und können daneben fröhlich fingen und frei scherzen,
das ein Schreiber wohl lassen muß. Drei Finger thun's (sagt man von Schrei⸗
bern), aber ganz Leib und Seele arbeiten dran.
Ich habe von dem löblichen, theuren Kaiser Maximilian hören sagen, wenn
die großen Hansen darum murreten, daß er der Schreiber so viel brauchte zu
Botschaften und sonst, daß er soll gesagt haben: Wie soll ich thun? Sie wollen
sich nicht brauchen lassen, so muß ich Schreiber dazu nehmen? Und weiter:
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