Full text: Deutsches Lesebuch für höhere Lehranstalten

Prosa. — Freundschaftliche Briefe. 
glänzende Erscheinungen schwebten Sie beide schnell, doch unvergeßlich, an uns 
vorüber. Die Gestalten sind lange verschwunden, aber immer folgt ihnen der Blick. 
¶. Verichtschreiben. 
10. Luther an seine Ehefrau vom 10. Februar 1546. 
Der heiligen, sorgfältigen Frauen, Katherin Lutherin, D. Zulsdorferin zu 
Wittenberg, meiner gnädigen, lieben Hausfrau. 
Gnade und Friede in Christo! Allerheiligste Frau Doctorin! Wir danken 
uns gar freundlich für eure große Sorge, dasür ihr nicht schlafen könnt; denn 
seit der Zeit ihr für uns gesorget habt, wollt uns das Feuer verzehrt haben 
in unsrer Herberg hart vor meiner Stubenthür; und gestern, ohne Zweifel 
aus Zweifel eurer Sorge, hat uns schier ein Stein auf den Kopf gefallen und 
zerquetscht, wie in einer Mäusfallen. Denn es ist in unserm heimlichen 
Gemach wohl zween Tage über unserm Kopf rieselt Kalch und Leimen, bis wir 
Leute dazu nahmen, die den Stein anrührten mit zwei Fingern, da fiel er herab 
als ein lang Kissen und zweier großen Hand breit: der hatte in Sinn, eurer 
heiligen Sorge zu danken, wo die lieben heiligen Engel nicht gehütet hätten. 
Ich sorge, wo du nicht aufhörst, zu sorgen, es möchte uns zuletzt die Exde ver⸗ 
schlingen und alle Element verfolgen. Lehrest du also den Katechismum und 
den Glauben? Bete du und laß Gott sorgen; es heißt: Wirf dein Anliegen 
auf den Herrn, er sorget für dich. Ps. 55. und viel mehr Orten. 
Wir sind, Gott Lob, frisch und gesund, ohne daß uns die Sachen Unlust 
machen, und Doctor Jonas wollt gern ein'n bösen Schenkel haben, daß er sich 
an eine Laden ohngefähr gestoßen: so groß ist der Neid in Leuten, daß er mir 
nicht wollt gönnen, allein einen bösen Schenkel zu haben. Hiemit Gott befoh⸗ 
len! Wir wollten nu fort gerne los sein und heimfahren, wenn's Gott wollt 
Amen, Amen, Amen. Am Tag Scholasticä, 1646. Euer Heiligen williger 
Diener Martinus Luther. 
1U. W. von Goethe an J. G. Merch 
Weimar, 5. August 1778. 
Es hält sich jetzt schwer, daß ich aus mir herausgehe. An dem ruhigen 
Abend sollst du doch ein paar Worte haben. Wie ich hörte, daß du mit der 
Herzogin wärst, reiste ich immer mit euch; denn ich wußte, was unter euch 
werden würde, und wie du ihnen würdest leben helfen und genießen. Und du 
hast denn auch wieder einmal Athem geschöpft; es geht nun wieder eine Weile im 
Leben weg. Wenn du mit der Mutler auf künftig Frühjahr kommen kannst, so 
richt's ein; sie sagen vom Winter, das ist nichts. In ineinem Thal wird's 
immer schöner, das heißt, es wird mir näher und anderen und mir bnieh 
barer, da ich die vernachlässigten Plätzchen alle mit Händen der Liebe polstre 
und putze und jederzeit mit größter Sorgfalt die Fugen der Kunst der lieben 
immer bindenden Natur zu befefligen und zu decken übergebe. Das herzige 
Spielwerk ist ein Kahn, auf dem ich oft über flache Gegenden meines Zustandes 
wegschwimme. Im Innersten aber geht alles nach Wunsch. Das Element 
in dem ich schwebe, hat alle Aehnlichkeit mit dem Wasser; es zieht jeden an 
und doch versagt dem, der auch nur an die Brust hineinspringt, im Anfange 
der Athem; muß er nun gar gleich tauchen, so verschwinden ihm Himmel und 
Erde. Hält man's dann eine Weile aus und kriegt aur das Gefühl, daß einen 
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