Full text: Deutsches Lesebuch für höhere Lehranstalten

3.2 Poesie. — Die Satire. 
den Augen des Publici vorzulegen und wöchentlich zu besseren fortschreiten, bis er 
endlich zu seinen 500 Louisdor⸗Stücken kommt, die, ohne Prahlerei zu reben, das 
Wunderbare selbst übertreffen, ja, so zu sagen, schlechterdings unmöglich sind. 
Es hat derselbe die Gnade gehabt, vor allen hohen und niedrigen Potenta 
ten aller vier Welttheile und noch vorige Woche auch sogar im fünften vor Ihro 
Majestat, der Königin Oberea auf Otaheite, mit dem größten Beifall seine Künste 
zu machen. 
E wird sich hier alle Tage und alle Stunden des Tages sehen lassen, aus 
genommen Montags und Donnerstags nicht, da er dem ehrwürdigen Congre 
feiner Landsleute zu Philadelphia die Grillen verjagt, und nicht von elf bis ʒwdl 
e Vomnntags, da er in Constantinopel engagiert ist, und nicht von zwölf bi 
eins, da er speiset. 
Von den Alltagsstückchen zu ein em Thaler wollen wir einige angeben 
nicht sowohl die besien, als vielmehr die, die sich mit den wenigsten Worten 
fassen lassen. 
1. Nimmt er, ohne aus der Stube zu gehen, den Wetterhahn von der 
Jacobikirche ab und sett ihn auf die Johanniskirche, und wiederum die Fahne de 
Johanniskirchthurms auf die Jacobikirche. Wenn sie ein paar Minuten gestecl 
bringt er sie wieder an Ort und Stelle. 
NB. Alles ohne Magnet, durch die bloße Geschwindigkeit. 
2. Nimmt er sechs Loth des besten Arseniks, pulverisiert und kocht ihn in 
zwei Kannen Milch und tractiert die Damens damit. So bald ihnen übel wird 
läßt er sie zwei bis drei Löffel voll geschmolzenen Bleis nachtrinken, und die Ge 
sellschaft geht gutes Muthes und lachend auseinander. 
3. Eußt er sich eine Holzaxt bringen und schlägt damit einen der Herren 
vor den Kopf, daß er wie todt zur Erde fällt. Auf der Erde versetzt er ihm den 
zweiten Streich, da denn der Herr sogleich aufsteht und gemeiniglich fragt, wal 
das für eine Musik sei. Uebrigens so gesund, wie vorher. 
4. Er zieht drei bis vier Damens die Zähne sanft aus, läßt sie von de 
Gesellschaft in einem Beutel sorgfältig durch einander schütteln, ladet sie alsdan 
in ein kleines Feldstück und feuert sie besagten Damen auf die Köpfe, da dan 
jede ihre Zähne rein und weiß wieder hat. 
5. Nimmt er alle Uhren, Ringe und Juwelen der Anwesenden, auch baare 
Geld, wenn es verlangt wird, und stellt jedem einen Schein aus; wirft hlerau 
alles in einen Koffer und reiset damit nach Kassel. Nach acht Tagen zerreißt jede 
Person ihren Schein, und so wie der Riß durch ist, so sind Uhren, Ringe und 
Juwelen wieder da. Mit diesem Stücke hat er sich viel Geld verdient. 
NB. Diese Woche noch auf der oberen Stube des Kaufhauses, künftig ahe 
hoch in freier Luft über dem Marktbrunnen. Denn wer nichts be 
zahlt, sieht nichts. 
Göttingen, den 7. Januar 1777. 
Vergleiche noch Nro. 109. 111. 122 
3. Der Roman. 
156. J. H. Pestalozzi: Aus „Lienhard und Gertrud“. 
Der Abend vor einem Festtage im Hause einer rechtschaffenen Mutter. 
Gertrud war noch allein bei ihren Kindern. Die Vorfälle der Woche und 
morndrige festliche Morgen erfüllte ihr Herz. In sich selbst geschlossen und sti 
bereitete sie das Nachtessen, nahm ihrem Mann und den Kindern und sich selbet 
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