Full text: Deutsches Lesebuch für höhere Lehranstalten

150 Poesie. — Die poetische Erzählung. 
Alexander Ypsilanti! frei wird Hellas heil'ges Land!“ 
Da erwacht der Fürst vom Schlummer, ruft entzückt: „Leonidas!“ 
Und er fühlt, von Freudenthränen sind ihm Aug' und Wange nß; 
Horch, es rauscht ob seinem Haupte, und ein Königsadler fliegt 
Aus dem Fenster, und die Schwingen in dem Mondenstrahl er wiegt. 
255. W. Müller: Der kleine Hydriot. 
Ich war ein kleiner Knabe, stand fest kaum auf dem Bein, 
Da nahm mich schon mein Vater mit in das Meer hinein, 
Und lehrte leicht mich schwimmen an seiner sichern Hand 
Und in die Fluten tauchen bis nieder auf den Sand. 
Ein Silberstückchen warf er dreimal ins Meer hinab, 
Und dreimal mußt' ich's holen, eh' er's zum Lohn mir gab. 
Dann reicht er mir ein Ruder, hieß in ein Boot mich geh'n, 
Er selber blieb zur Seite mir unverdrossen stehn, 
Wies mir, wie man die Woge mit scharfem Schlage bricht, 
Wie man die Wirbel meidet und mit der Brandung ficht. 
Und von dem kleinen Kahne gieng's flugs ins große Schiff; 
Es trieben uns die Stürme um manches Felsenriff. 
Ich saß auf hohem Maste, schaut' über Meer und Land, 
Es schwebten Berg' und Thürme vorüber mit dem Strand. 
Der Vater hieß mich merken auf jedes Vogels Flug, 
Auf aller Winde Wehen, auf aller Wolken Zug; 
Und bogen dann die Stürme den Mast bis in die Flut, 
Und spritzten dann die Wogen hoch über meinen Hut: 
Da sah der Vater prüfend mir in das Angesicht — 
Ich saß in meinem Korbe und rüttelte mich nicht — 
Da sprach er, und die Wange ward ihm, wie Blut, so roth: 
„Glück zu auf deinem Maste, du kleiner Hydriot!“ — 
Und heute gab der Vater ein Schwert mir in die Hand 
Und weihte mich zum Kämpfer für Gott und Vaterland. 
Er maß mich mit den Blicken vom Kopf bis zu den Zeh'n: 
Mir war's, als thät sein Auge hinab ins Herz mir seh'n. 
Ich hielt mein Schwert gen Himmel und schaut' ihn sicher an, 
Und däuchte mich zur Stunde nicht schlechter als ein Mann. 
Da sprach er, und die Wange ward ihm, wie Blut, so roth: 
„Glück zu mit deinem Schwerte, du kleiner Hydriot!“ 30. 
256. A. Graf Platen: Der Tod des Carus. 
Muthig stand an Persiens Grenzen Roms erprobtes Heer im Feld, 
Carus saß in seinem Zelte, der den Purpur trug, ein Held. 
Persiens Abgesandte beugten sich vor Roms erneuter Macht, 
Flehn um Frieden an den Kaiser; doch der Kaiser wählt die Schlacht. 
Kampfbegierig sind die Schaaren, die er nah und fern beschied, 
Durch das Heer aus tausend Kehlen gieng das hohe Siegeslied: 
„Weh den Persern! Römer kommen, Römer ziehn im Flug heran, 
Rächen ihren Imperator, rächen dich, Valerian! 
Durch Verrath und Misgeschick nur trugst du ein barbarisch Joch; 
Aber, starbst du auch im Kerker, deine Rächer leben noch! 
Wenn zu Pferd stieg Artaxerxes, ungezähmten Stolz im Blick, 
Sekte seinen Fuß der König auf Valerians Genick. 
20 
10 
20
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.