Jetzt knackt es in den Zweigen. Der Juchs spitzt das Ohr; ein
Pfeifen laßt sich hören. Da tritt das Reh heraus, das Haupt keck
emporgerichtet, die Angen nach allen Seiten rollend. Wieder pfeift
es, und in schlankem Sprunge ist das Kälbchen der Alten zur Seite.
In den drolligsten, graziösesten Sätzen tändelt es um die Mutter, ein
Blatt, ein Kraut wie im Fluge abstreifend und dann sich nieder¬
werfend, um zu saugen. Die Mutter leckt ihm kosend den Nacken.
Plötzlich hebt die Ricke den Kopf. Ihre Lichter funkeln, ein Zittern
fliegt über die Flanken, sie macht ein paar Sprünge und stampft zornig
mit den Läufen. Es ist klar: sie hat den Räuber gewittert. Dieser
hat sich leisen Fußes herangestohleu, sacht, sacht, das Kitzlein unver¬
rückt im Auge. Es gilt einen kühnen Griff. Wenn ihm nur die
Alte nicht so eben den Weg verrannt hätte! Doch Reineke läßt sich
nicht irren: er thut, als sei er in tiefen Gedanken. Träumerisch
sinnend starrt er ins Blaue. Keine Miene verrät, daß er der Beute
ansichtig geworden. Er verschwindet, um in weiten Bogen von einer-
andern Seite den Angriff zu versuchen. Allein die wachsame Alte
drängt sich dicht an das Junge, denn sie kennt des Laurers Arglist.
Dort streift er vorbei. Die Ricke pfeift wieder, und der Fuchs schaut
auf, als schrecke er plötzlich zusammen. Doch ist er inzwischen dem
Ziele seiner Wünsche nah und näher gekommen. Der Augenblick ist
günstig, Verstellung nicht inehr nötig. Reineke duckt sich nieder; wie
eine Katze schmiegt er sich an den Boden, die Lunte zuckt, die Augen
starren wildgierig auf das bebende Tier, er weist die mörderischen
Reißer, hebt leise Fuß und Kopf zu Sprung und Biß, — ein Mo¬
ment noch, — ein Satz, und — da stürzt sich die Mutter ihm ent¬
gegen, mit dem Gehörne auf den Räuber los, mit den Füßen ihn
zerstampfend. Das Kälbchen ist gerettet. Reineke kehrt hinkend und
zorngrimmig heim. Rache schwört er dem Flüchtlinge, und es steht
zu befürchten, daß er seinen Schwur zu lösen wissen werde.
137. Der deutsche Wald im Rauchfroste.
(Emil Robmäßler.)
Nach einer kalten 'Rächt, in welcher ein dicker, leuchtender Giebel
alle Gegenstände unsichtbarer eingehüllt hatte, als die schwärzeste
Finsternis, hat die Sonne in strahlender Reinheit ihre kurze Tages¬
bahn angetreten und leuchtet in unser Fenster. Wir wissen, was wir
nun draußen zu erwarten haben. Bor den Thoren unseres Wohnortes