Full text: Lesebuch für die Oberklassen evangelischer Elementarschulen in Elsaß-Lothringen

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Dritte Periode. 
Landbewohner betreffend". Fortan konnte der Adelige bürgerliche 
Güter erwerben und bürgerliches Gewerbe treiben, der Bürger und Bauer 
auch in den Besitz adeliger Grundstücke gelangen, der Bürger in den 
Bauernstand, der Bauer in den Bürgerstand treten. Hinfort durfte kein 
Unterthänigkeitsverhältnis mehr entstehen,-die bisherigen Unterthänigkeits- 
Verhältnisse wurden ausgehoben; nach dem Martinitage 1810 sollte es in 
Preußen nur noch freie Leute geben. Damit gewannen etwa zwei 
Drittel der Einwohner des Staates die unbeschränkte persön- 
liehe Freiheit; die kastenartige Trennung der Stände war ge- 
fallen. Viele Adelige waren mit diesen Neuerungen natürlich unzn- 
frieden und suchten Stein zu verdrängen, in der Priegnitz tobten selbst 
die Bauern gegen „die neue Freiheit"; aber der König ließ sich nicht 
irremachen. Auf den meisten königlichen Domänen war die Erbunter- 
thänigkeit schon im 18. Jahrhundert aufgehoben, wo sie noch bestand, 
sollte sie am 1. Juni 1808 aufhören. Durch eine weitere Verordnung 
(vom 27. Juli 1808) verlieh der König den Einsassen der königlichen 
Domänen in Ost- und Westpreußen, etwa 47000 bäuerlichen Familien, 
das volle Eigentum ihrer Grundstücke: ein wahrhaft königliches Geschenk! 
Auch die städtischen Verhältnisse wurden umgestaltet. Nur 
wenige deutsche Städte — die freien Reichsstädte, einzelne Bischofsstädte — 
hatten ihre selbständige Verwaltung gerettet; die meisten waren unter 
die Bevormundung der Fürsten geraten. Die städtischen Angelegenheiten 
wurden von Staatsbeamten verwaltet, die von dem Willen der Gemeinde 
ganz unabhängig waren. Die Bürger hatten deshalb für das öffentliche 
Leben auch wenig Interesse; die städtischen Beamten aber, oft invalide 
Offiziere, betrachteten ihr Amt meistens als bequemen Ruheposten. Auch 
hier wurde Wandel geschafft. Am 19. November 1808 erließ der König 
die „Ordnung für sämtliche Städte der preußischen Monarchie", 
welche den Bürgern die Verwaltung der städtischen Angelegenheiten durch 
selbstgewählte Beamte zurückgab und noch jetzt die Grundlage der pteu= 
ßischen Städteordnung bildet (Anhang I). 
Auch die Staatsverwaltung ist 1808 unter Steins Einfluß neu 
geordnet Das Generaldirektorium wurde beseitigt. Art die Stelle der 
Provinzialminister traten fünf Fachminister, für das Innere, die Finanzen, 
das Auswärtige, den Krieg und die Justiz; jede Provinz wurde unter 
einen Oberpräsidenten gestellt, die—bisherigen Kriegs- und Domänen- 
kammern-in Regierungen umgewandelt. Ebenso wurden damals Rechts- 
pflege und Verwaltung vollständig getrennt (S. 115). Um die 
Macht der Minister zu beschränken, wollte Stein ihnen einen Staatsrat 
zur Seite stellen, der alle hervorragenden Staatsdiener, auch die Minister 
selbst, in sich vereinigen und die Gesetzentwürfe beraten sollte. Ebenso 
sollte neben dem Landrat der Kreistag, neben dem Oberpräsidenten der
	        
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