Full text: Lesebuch für die Oberklassen evangelischer Elementarschulen in Elsaß-Lothringen

88 Erster Zeitraum des Mittelalters: 476—752. A. Das Abendland. 
Bahnen fortgehen wollten. Dem Pipin ist es gegeben, dies zu ver¬ 
mitteln; der Sieg, welcher ihn zum Herrn des fränkischen Reiches in 
Gallien macht, knüpft noch einmal das deutsche und romanische Land 
an einander, aber so, daß jenes nun das Uebergewicht und sein Für¬ 
stenhaus die wahre Herrschaft erlangt. 
Da er selber nach Austrasien zurückging, machte er seinen Sohn 
Grimoald zum Majordomus, und, da dieser vor dem Vater starb, trat 
der Enkel Theudoald an seine Stelle. In Austrien gebot Pipin auch 
ferner allein und ohne jede Beschränkung. Dabei haben Prinzen des 
alten merovingischen Hauses die Krone getragen, und auch Austrasien 
hat sie wieder als die rechtmäßigen Könige anerkannt. Aber der letzte 
Schatten einer selbständigen Macht ist von ihnen gewichen und nichts 
als leere Ehren und Titel sind übrig geblieben. Wohl haben die neustri- 
schen Großen noch einen Versuch gemacht, sich der Herrschaft des austra¬ 
lischen Fürstenhauses zu entziehen; aber wenn der junge Enkel Pipin's 
erlag, so hat sein großer Sohn Karl durch eine Schlacht und durch 
seine glorreiche Regierung alles hergestellt und weiter geführt, was der 
Vater begründet hatte. 
Eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der Geschichte ist Karl, den 
die spätere Ueberlicferung Martell oder den Hammer beigenannt hat. 
Geboren von einer Frau, mit der Pipin, wie es scheint, sich neben 
der rechtmäßigen Gemahlin verbunden hatte, ward er nicht als vollbe¬ 
rechtigt angesehen. Aber zwei andere Söhne Pipin's waren vor dem 
Vater gestorben; den Enkel Theudoald, der zuletzt die Würde des Ma¬ 
jordomus in Neustrien bekleidet hatte, suchte vergebens die Großmutter 
Plcctrudis zu schützen; die Neustrier vertrieben ihn und versuchten noch 
einmal, sich der Herrschaft des fremden Geschlechtes zu entziehen. Aber 
die Austrasier sammelten sich um Karl, der, der Gefangenschaft der 
Plcctrudis entkonimen, die Herrschaft des Vaters in Anspruch nahm 
und sie gegen einheimische und fremde Feinde zn behaupten wußte. 
Die Schlachten bei Amblef und Vincy (717) gaben Karl die Herrschaft 
über Neustricn und sicherten so das Resultat des testrier Sieges. Karl 
hatte Anfangs dem Chilperich, den die Neustrier als König erhoben, 
einen anderen Merovinger entgegengesetzt, ließ sich dann aber, da dieser 
gestorben, den Chilperich gefallen, an dessen Stelle später wieder ein 
anderes Mitglied des alten Geschlechtes trat, ohne daß allen irgend 
mehr als der bloße Name zu Theil geworden wäre. Karl führte die 
Herrschaft in Neustrien wie in Austrasien. 
Am Ende des 7., am Anfang des 8. Jahrhunderts waren die 
alten Ordnungen immer mehr in Verfall und Auflösung gerathen. Zum 
Organisiren und planmäßigen Einrichten war die Zeit noch nicht ge¬ 
kommen, war auch Karl wohl nicht die Persönlichkeit. Aber mit Kraft 
und Energie brach er Bahn, bewältigte er, was entgegen stand, schuf 
er die Möglichkeit einer neuen Ordnung der Dinge. Die mächtige 
Aristokratie, welche das Königthum einschränkte, ward gebrochen; ein 
Theil, die Geistlichkeit, in ihrem Besitz, ihrer Unabhängigkeit beschränkt,
	        
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