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Herzen seit Konstantins und Helenas Zeit haben über diesen Anblick
geblutet, sind, von diesem Anblicke getröstet, wieder von dannen
gezogen! Dort im Süden liegt Bethlebhem“, sprach der Vübrer
veiter. Bethlehem, die anmutigste unter den Städten! die liegt so
friedlich auf dem Berge, und die hohe Sonne schaut so ruhbig auf
sie, dass ich mich nieht erinnere, irgendwo einen Ort gesehoen zu
haben, der mit solcher Anmut solche Majestät verbände. — Dort zur
Linken zwischen den Hügeln dehnt sich das Thal der Hirten; eng
und still legt es zwischen den Bergen, und nur wenige Bäume be.
grenzen seinen Saum. Dort haben in der beiligen Nacht die Heer-
scharen des Himmels zuerst den Srusten unter dem Volke das neue
Heil verkündet. Viele Klöster erbeben sich über die Häuser von
Bethlehem, und die Kuppel, welehe am höchsten hervorragt, gehört
der durch die Kaiserin Helena erbauten Kirche an, welebe über der
heiligen Grotte steht, da Ohristus geboren ist.
„Melches Namens ist dort dié Burg“, fragte ich den Begleiter,
„die nur einige hundert Schritte von hier auf dem Gipfel jenes Hügels
gteht?“ — „Das ist die Davidsburg auf Zion“, sagte eintönig der
Führer. Hier hat der Mann gewobnt, der grölste weiner Zeit, der
ein Prophet war, ein Diebter und ein König. Von bier aus konnte
er Jerusalem beschauen und ungestört des Musses strömende Welle,
das stille, grũnende Thal, die Terebinthen und Olirenbäume betrachten,
wie sie schmücken die Häupter der Hügel. Gegen Südosten liegi
vor dem Auge des Beschauers das Thal Josaphat, die Moschee auf
Morija und weiterbin der Kessel des totoen Meeres. — Rein Anblick
vermag die Seele mit so trüben Gedanken zu erfüllen wie das von
dem fast wvasserlosen Kidron durchschlichene Thal Josaphat zwischen
wei Hügeln, von denen der eine der Olberg ist, der andere die
Stadt Jerusalem auf seiner Hõhe trägt. Niemals scheint die Sonne
in die düstere Tiefe. Des Morgens verbirgt sie sich hinter dem Olberge
und des Nachmittags hinter Morija. Es ist das Thal der Schatten
und der Graber, und wer über die Brücke geht, die dort den Kidron
überbaut, vird von unvillkürlichem Schauder ergriffen. Rechts
von der Brücke befinden sich die Gräber Absaloms, Josaphats und
Sacharjas. Betende liégen in der Nähe dieser Gräber auf dem
Boden hingestreckt, und eine Masse aufgeschichteter Steine vermehrt
das LTraurige dieser Stãtte.
„Dort im Osten“, sagte der Führer zu mir, „ßehen die Betha-
nien und den Olberg“. — Nächst Bethlehem ist Bethanien gewils
das Lleblichste Dörflein, und teure Erinnerungen knüpfen sioh an
diese Stätte. Hier hat Lazarus gewohnt und Maria und NMartha;
in ihrem Kreise hat Jesus ausgerubt von der hbeiligen Arbeit, um
neue Kräfte zu sammeln zur usführung seines schweren Berufes;
hier hat der aus Jerusalem Verstossene ein Obdach, der Heimat
lose eine Heimat, der von seinem Volke Verachtete Liobe und Ebre
gefunden. Bethanien möchte ieh den Ort der stillen Liebe nennen.
Es ist so einsam, so traulich an den Berg gebaut, rings von schat-
tigen Bãumen, von grünenden FPeldern umgeben, dass man Wob-