Full text: Für Oberklassen (Teil 2, [Schülerband])

16 — 
und Rechnen geübten Lehrburschen. Der Krämer prüfte uns, dann gab er 
mir den Vorzug. Meine alten Kleider waren heil und sauber; Albrecht 
im Sonntagsrock ließ Nachlässigkeiten sehen. Das sagte mir der Herr 
Prinzipal nachher. „Ich sehe ihm an“, sagte er, „er hält das Seine zu 
Rat; aus dem andern giebl's keinen Kaufmann“. Da dachte ich wieder 
an den alten Herrn und an das Loch im Ärmel. 
Ich merkte wohl, ich hatte in anderen Dingen, in meinen Kenntnissen, 
in meinem Betragen, in meinen Neigungen noch manches Loch im Armel. 
Zwei Nadelstiche zu rechter Zeit bessern alles ohne Mühe, ohne Kunst. 
Man lasse nur das Loch nicht größer werden; sonst braucht man für das 
Kleid den Schneider, für die Gesundheit den Arzt, für die moralischen 
Löcher die safende Obrigkeit. — Es giebt nichts Unbedeutendes und 
Gleichgültiges weder im guten, noch im bösen. Wer das glaubt, kennt 
sich und das Leben nicht. Mein Prinzipal hatte auch ein abscheuliches Loch 
imn Armel, nämlich er war habrechtig, zänkisch, despotisch, launenhaft; das 
brachte mir oft Verdruß. Ich widersprach; da gab's Zank. Holla, dachte 
ich, es könnte ein Loch im Ärmel geben und ich Zänker und gallsüchtig 
Unb unvertraglich, wie der Herr Prinzipal, werden. Von Stunde an ließ 
ich den Manu recht haben; ich begnügte mich, recht zu thun, und bewahrte 
meinerseits den Frieden. 
Als ich ausgelernt hatte, trat ich in eine andere Stellung. Gewöhnt, 
mit wenigen Bedürfnissen des Lebens froh zu sein, sparte ich manches. 
Gewöhnt, mir kein Loch im Armel zu verzeihen, schonend aber über das⸗ 
jenige an fremden Ärmeln wegzusehen, war alle Welt mit mir zufrieden, 
wie ich mit aller Welt. — So hatte ich beständig Freunde, beständig 
Beistand, Zutrauen, Geschäfte. Gott gab Segen. Der Segen liegt im 
hun ünd Rechtdenken, wie im Nußkern der fruchttragende, hohe 
aum. 
So wuchs mein Vermögen. Wozu denn? fragte ich; du brauchst ja 
nicht den zwanzigsten Teil davon. — Prunk damit treiben vor den 
ellen? — Das Thorheit. Soll ich in meinen alten Tagen noch ein 
doch im Armel aufweisen? — Hilf, audern, wie dir Gott durch andere 
geholfen. Dabei bleibt's. Das höchste Gut, das der Reichtum gewährt, 
st zuletzt Unabhängigkeit von den Launen der Leute und ein großer Wir— 
kungskreis. — Jetzt, Konrad, gehe auf die hohe Schule, lerne etwas Rechtes; 
ane an den Mann mit der schneeweißen Perücke, hüte dich vor dem 
asien lleinen Loch im Ärmel; mach's nicht wie mein Kamerad Albrecht. 
Er ward zuletzt Soldat und ließ sich in Amerika totschießen“. Zschokle. 
23. Die beiden Pflugscharen. 
Zwei Pflugscharen kamen mit einander nen vom Schmied und waren 
von völlig gleichem Ansehen. Die eine wurde hingeworfen und lag jahre— 
lang mußig, so daß sie vom Rost verunstaltet wurde. Die andere aber 
am alsbald an den Pflug und mußte das Land pflügen, wobei sie schön 
hblank wurde. Als die beiden einmal wieder zusammenkamen, sahen sie 
nander voll Verwunderung an. Die so lange müßig gelegen hatte, 
sprach zu ihrer fleißigen Schwester; „Sage mir doch, wodurch bist du so 
hon geworden und ich so häßlich? Ich habe doch lauter gute Tage gehabt
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.