Full text: [Teil 5 = Schuljahr 7 und 8, [Schülerband]] (Teil 5 = Schuljahr 7 und 8, [Schülerband])

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immer zur Hand gehabt, wenn auch auswärts Fürsten und Ritter 
der Stadt ihre Jagdbefugnis kümmerten und störlen, oder wohl gar 
Feinde die Stadt eingeschlossen oder belagert hielten. Dies gefiel 
uns sehr, und wir wünschten, eine solche zahme Wildbahn wäre 
auch bei unsern Zeiten zu sehen gewesen. 
5. Die Hinterseite des Hauses hatte, besonders aus dem obern 
Stock, eine sehr angenehme Aussicht über eine beinahe unabsehbare 
Fläche von Nachbarsgärten, die sich bis an die Sladtmauer ver— 
breiteten. Leider aber war bei Verwandlung der sonst hier befind- 
lichen Gemeindeplätze in Hausgärten unser Haus und noch einige 
andere, die gegen die Straßenecke zu lagen, sehr verkürzt worden, 
indem die Haäuser vom Roßmarkt her weitläuftige Hintergebäude und 
große Gärten sich zueigneten, wir aber uns durch eine ziemlich hohe 
Mauer unseres Hofes von diesen so nahe gelegenen Paradiesen aus— 
geschlossen sahen. 
6. Im zweiten Stock befand sich ein Zimmer, das man das 
Gartenzimmer nannte, weil man sich daselbst durch wenige Gewächse 
vor dem Fenster den Mangel eines Gartens zu ersetzen gesucht hatte. 
Dort war, wie ich heranwuchs, mein liebster, zwar nicht trauriger, 
aber doch sehnsüchtiger Aufenthalt. Über jene Gärten hinaus, über 
Stadtmauern und Wälle sah man in eine schöne, fruchtbare Ebene, 
es ist die, welche sich nach Höchst hinzieht. Dort lernte ich zur 
Sommerszeit gewöhnlich meine Lektionen, wartete die Gewitter ab 
und konnte mich an der untergehenden Sonne, gegen welche die 
Fenster gerade gerichtet waren, nicht satt genug sehen Da ich aber 
zu gleicher Zeit die Nachbarn in ihren Gärten wandeln und die 
Blumen besorgen, die Kinder spielen, die Gesellschaften sich ergötzen 
sah, die Kegelkugel rollen und die Kegel fallen hörte, so ertegte dies 
frühzeitig in mir ein Gefühl der Einsamkeit und einer daraus ent— 
springenden Sehnsucht, das, dem von der Natur in mich gelegten 
Ernsten und Ahnungsvollen entsprechend, seinen Einfluß gar bald in 
der Folge noch deutlicher zeigte. 
7. Die alte, winkelhafte, an vielen Stellen düstere Beschaffen— 
heit des Hauses war übrigens geeignet, Schauer und Furcht in 
kindlichen Gemütern zu erwecken. Unglücklicherweise hatte man noch 
die Erziehungsmaxime?), den Kindern frühzeitig alle Furcht vor dem 
Ahnungsvollen und Unsichtbaren zu benehmen und sie an das Schauder⸗ 
hafte zu gewöhnen. Wir Kinder sollten daher allein schlafen, und 
wenn uns dieses unmöglich fiel und wir uns sacht aus den Betten 
hervormachten und die Gesellschaft der Bedienten und Mägde suchten, 
so stellte sich, in umgewandtem Schlafrock und also für uns verkleidel 
genug, der Vater in den Weg und schreckte uns in unsere Ruhe— 
stätte zurück. Die daraus entspringende üble Wirkung denkt sich 
jedermann. Wie soll derjenige die Furcht los werden, den man 
zwischen ein doppelt Furchtbares einklemmt? Meine Mutter, stets 
heiter und froh und andern das Gleiche gönnend, erfand eine bessere 
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