Full text: Lesebuch für die Mittelklassen der Volksschulen

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169. Das versunkene Dorf. 
den Knieen ein geöffnetes Buch. Immer hat der große Mann gern 
Schweinfurts gedacht; das zeigen deutlich die Verse von ihm: 
„Von allen Ehren mir am meisten wert 
Ist die, womit die Vaterstadt mich ehrt.“ 
Mit Vorliebe besuchen Spaziergänger die herrlichen Anlagen an der 
„Pfinz“ (einem Weiher) mit dem Tiergarten und die drei Wehrwäldchen auf 
dem jenseitigen Mainufer. Hinter diesen dehnt sich der große Sennfelder 
See aus, über dessen Abfluß eine eigene Brücke führt. Seit alters steht 
er im Rufe unergründlicher Tiefe und die Sage hat auch um ihn ihre 
bunten Ranken geschlungen: Einst stiegen gegen Abend drei Wasser— 
jungfrauen aus dem See und vergnügten sich beim Kirchweihtanze mit 
den Sennfelder Burschen. In ihrer Freude am Tanze vergaßen sie die 
Heimkehr in der Geisterstunde. Plötzlich merkten sie ihr Vergehen und 
dachten voll Entsetzen an das ihnen drohende Unheil. Jammernd kehrten 
sie in die kühle Flut zurück. Die Burschen waren ihnen voll Neugier 
gefolgt; aber sie sahen nichts mehr von den Verschwundenen. Nur an 
einer Stelle des Sees war das Wasser blutig rot gefärbt. Die Säumigen 
hatten ihre Schuld gesühnt. 
169. Das versunkene Dortf. 
Eine frankische Sage. Erzahlt v. Job. Friedriceh. 
Etwa eine halbe Stunde von Waigolshausen, einem freundlichen 
Dorfe an der Grenze des Schweinfurter Gaues, liegt ein Kleiner Wiesen- 
grund. Mit dreihundert Schritten mag man ihn durchqueren. 
Der Wiesengrund ist ein ruhiges Heckchen Erde. Nur zur Zeit 
der Heuernte wird die Stilleæ unterbrochen. Sonst ist er wie aus- 
gestorben. Eine Straße führt nicht an ihm vorüber; den holprigen 
Weg betritt selten ein Wanderer. Von den Dörfern der Umgegend 
ist nicht einmal eine Turmspitze sichtbar. Nur das Glockengelãute 
tönt aus der Ferne und der Schrei eines Raubvogels mag sonst gehört 
werden. 
Doch früher, vor vielen, vielen Jahren war es anders. Da erhob 
sich im Grunde ein Dörflein. Etliche zwanzig Häuser mochte es 
zãhlen, lauter stattliche Gehöfte mit blitzblanken Penstern, breiten 
Einfahrten und schmuckem Aussehen. Die Bewohner waren reiche 
Bauern. Die Pelder des Dörfleins zäbhlten zu den besten auf zwanzig 
Meilen in der Runde. Die Kornböden bargen die köstlichen Früchte 
des goldgelben Weizens und des Roggens. Die Scheunen waren bis 
aum Virst angefüllt von duftigem Heu und Klee. In den Ställen 
standen wohlgepflegte Kühe und Ochsen; kein Wassertröpfehen wäre 
auf ihnen stehen geblieben. In den Truhen der Bauern lag mancher 
mit harten Talern gespickte Strumpf. 
Doch cdieser Reichtum blendete die Dorfbewohner. Sie wurden 
geizig, hartherzig und gottlos. Die armen wurden mit rohen Schimpf- 
worten von der Schwelle gewiesen, wohl gar mit Hunden zum Tore
	        
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