L®er Werdegang Luthers.
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Er prägte ihr jedoch festere Formen auf, sein feiner Sprachsinn, unterstützt von
einem musikalischen Ohr, gab die reiche Wortfülle. Bereits war das Streben
nach einem einheitlichen Deutsch vorhanden, die ungemeine Verbreitung der
Schriften Luthers nebst seinem persönlichen Einfluß entschied nun über die zu
wählende Form. Besonders das Niederdeutsche wurde zurückgedrängt, ebenso
das Lateinische. Die neuhochdeutsche Schriftsprache brachte dem zersplitterten
Volke eine erste Einheit und ermöglichte eine Nationalliteratur. Diese dauern¬
den Gewinne waren bereits gesichert, als die Verhältnisse es mit sich brachten,
daß Luther nur noch das Haupt einer religiösen Partei war.
2. Der Werdegang Luthers bis zu (einer liosfagung von der
kafholilchen Kirche.
Nach I. bort Döllinger, Luther.
In Wetzer und Weltes Kirchenlexikon. Freiburg, Herder.
Ehe noch der Ablaßstreit begann, hatte Luther sich von der bisherigen
Theologie und der allgemeinen Lehre der Kirche in einem Punkte entfernt, der
neben dem Dogma von der Person Christi der wichtigste im ganzen kirchlichen
Lehrgebäude ist und über die Auffassung und Gestaltung des ganzen praktisch-
christlichen Lebens entscheidet — im Dogma von der Rechtfertigung des
Menschen. Seine neue Lehre von dieser und dem ganzen Verhältnisse des
Menschen zu Gott war das Ergebnis eines peinigenden und trostlosen Geistes-
zustandes, in dem er sich lange Zeit befunden hatte. Er hatte den klösterlichen
Stand und dessen aszetische Vorschriften und Übungen mit der ganzen Energie
seines heftigen, tief leidenschaftlichen und der größten Anstrengungen fähigen
Charakters ergriffen. Es ist kein Grund vorhanden seine darauf bezüglichen
Äußerungen zu bezweifeln; aber die Geständnisse, die er dabei über feinen
damaligen Seelenzustand ablegt, geben auch hinlänglichen Aufschluß über die
Ursache, warum sein aszetisches Ringen und Arbeiten ihn nicht förderte, warum
endlich ein Zustand der völligen Entmutigung und Verzweiflung sich einstellte,
der mit einem Umschlag in das gerade Gegenteil endigte. Wenn auch nach
seiner Lossagung von der Kirche und nach dem gewaltsamen Bruche mit seiner
ganzen Vergangenheit eine große Veränderung in seinem Charakter vor sich
ging, so ist doch nicht zu verkennen, daß jenes Feuer des Zornes und des bis
zum Hasse sich steigernden Ingrimmes, das später in helle Flammen aufschlug,
damals schon, wenn auch noch niedergehalten durch seine aszetischen An-
strengungen, in ihm glühte, und daß er überhaupt gegen sein mit edlen wie
bedenklichen und schlimmen Anlagen reich ausgestattetes Temperament einen
Kampf führte, der oft mit Niederlagen endigte. Er sagt es selbst, daß es