So nahte der 1. November 1527, der zehnjährige Gedenktag des
Beginnes der Reformation, den Luther trotz aller Trauer im Kreise seiner
Freunde festlich beging, und zur Feier dieses Tages griff er zum Psalter—
buche, zum 46. Psalm, und dichtete und sang sein Heldenlied: „Ein' feste
Burg ist unser Gott.“ Ein Brief Luthers gerade von diesen Tage an seinen
Freund Nikolaus von Amsdorf bezeugt dies fast ausdrücklich. Nachdem er
in diesem Briefe seinem Freunde feine Lage geschildert, geschrieben hat, wie
er fürchten muß für sein Weib, das in dieser bösen Zeit der Entbindung
entgegensehe, für sein Kind, das seit drei Tagen krauk darniederliege,
schließt er mit den Worten: „So giebt es draußen Kampf und drinnen
Schrecken; aber Christus suchet uns heim. Unser einiger Trost, den wir
der Wuth des Teufels entgegenstellen, ist der, daß wir das Wort
Gottes haben, welches die Seelen errettet, wenn er auch die Leiber
verschlingt. Betet für uns, daß wir die Hand Gottes wacker ertragen,
und die Macht und List des Teufels überwinden, sei es durch Tod
oder durch Leben. Amen. Zu Wittenberg, am Tage aller Heiligen, am
zehnten Jahrestage des Sieges über den Ablaßkram, dessen Angedenken wir
in dieser Stunde wohl getröstet mit einem Trunke feiern.“
Wer hörte hier nicht alle Hauptgedanken, ja die Worte selber unsres
Liedes durchklingen! Wir stehen an der Wiege unsres Lutherliedes, und der
1. November 1527 wird fortan als der Geburtstag desselben gelten dürfen.
K. F. Th. Schneider. 1866.
124. Die Kreuzschau.
Der Pilger, der die Höhen überstiegen,
sah jenseits schon das ausgespannte Thal
in Abendglut vor seinen Füssen liegen.
Auf duft'ges Gras, im milden Sonnenstrahl
sstreckt' er ermattet sieh zur Rube nieder,
indem er geinem Schöpfer sieh befabl.
Ihim fielen zu die matten Augenlieder;
doch seinen vachen Geist enthob ein Draum
der irdssehen Hülle seiner trägen Glieder.
Der Schild der Sonne ward im Hbnmelsraum
zu Gottes Angesicht, das Firmament
zu seinem Kleid, das Land zu dessen Saum.
„Du vwirst dem, dessen Herz dieh Vater nennt,
nieht, Herr, im Zorn entziehen deinen Frieden,
wenn seine Sehwächen er vor dir bekennt!
s8, wen ein Weib gebar, sein Kreuz hienieden
aueh duldend tragen muls, ieh weils es lange;
doch sind der Menschen Last und Leid verschieden.