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das wichtigste und beachtenswertheste Phänomen und Verhältniß, als das,
was der Mosel ihren ganzen Charakter gab, bezeichnen. — Solches zu¬
zugeben, wird man sich nicht sogleich geneigt fühlen, und es bedarf dies
daher einiger Auseinandersetzung.
Ich will mit dem Einfachem und Handgreiflichen, mit der Einwir¬
kung der Krümmungen auf Klima und Bodenbau, zuerst beginnen und
dann zu dem Complieirtern, ihrer Einwirkung auf die historische Rolle,
welche der Fluß spielte, fortgehen.
Hätte die Mosel von Trier bis Koblenz einen völlig geradlinigen
Thaleinschnitt wie ein holländischer Kanal gemacht, so würde bei der nord-
östlichen Richtung des Flusses ein linkes Flußufer entstanden sein, das
durchweg nach Südosten der Sonne zugewendet gewesen wäre, und dann
ein rechtes Flußufer, dessen Gelände sich durchweg nach Nordwesten der
Sonne abgekehrt hätte. Wir würden dann wahrscheinlich den Hauptanbau,
namentlich den Weinbau, im ganzen Thale auf jener linken oder Sonnen-
seile finden, und auf der rechten oder Schattenseite würde vermuthlich
eine andere Bodencultur begründet, überhaupt weniger Leben entstanden
sein. Der ganze Anbau des Thales würde sich einförmig darstellen.
Wald-, Wiesen-, Ackerbau und Viehzucht auf der einen Seite, Garten-,
Gemüse-, Obst- und Weinbau auf der andern Seite. Die vielfachen
Krümmungen des Flusses bewirken nun aber eine äußerst mannigfaltige
Stellung der Ufergelände zur Sonne und bringen fast jeden kleinen Ab-
schnitt des Flusses und Thales in andere klimatische Verhältnisse. Hier
ist ein kleiner, eine oder zwei Stunden langer Busen, dessen Abhänge
ganz nach Süden gekehrt sind, in dessen Felsengeklüfte die Sonnenstrahlen
heiß reflectirend zusammenschießen und der für den Wärme verlangen-
den Wein ganz vorzüglich gelegen ist. An diesen Abhängen ist dann
jedes Fleckchen für den Weinbau in Anspruch genommen und mit Reben
besetzt. Bald ist ein solcher Busen auf der rechten Seite des Flusses, bald,
wenn dieser eine seiner kapriciösen Windungen ausführte, wieder auf der
linken. Solche ganz dem Süden zugekehrte Busen erzeugen dann die schön-
sten Weine, und hier strebt Jeder ein kleines Gebiet zu gewinnen. Es
giebt andere Felsenwände, die mehr nach Südosten und Osten, oder nach
Südwesten und Westen gerichtet sind, und welche die Strahlen der Sonne
im Laufe des Jahres unter sehr mannigfaltigen Winkeln empfangen. Sie
erzeugen die mittleren Weinsorten. Endlich giebt es auch Abhänge, die
ganz dem Süden abgekehrt und geradeswegs dem Nordpol zugewendet
sind. Diese liegen entweder ganz oder doch einen großen Theil des
Tages und Jahres im Schatten. Sie sind kalt und dem Weinbau ganz
unzugänglich. An solchen nördlich gerichteten Abhängen findet man fast
nur die Producte, die Cultur und die Vegetation des Hundsrücks und
der hohen ©ifel. Sie sind mit den sogenannten „Lohhecken" oder ,,Rode-
hecken" bedeckt, d. h. mit niedrigem Eichengebüsch, das die Moselaner
wie die Hundsrückbewohner schälen, um die Rinde an die Lohgerber zu