Bei der Morgensprache.
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rissig, von der richtigen Art und von den geschworenen Holzwrackern auf
dem Platz hinter dem Kaufhause ausgewählt war. Und wie hier das Holz
und die Tonnen, so wurde anderwärts das Gold und Silber, das Kupfer,
Leder, Tuch, Korn usw. und alle daraus gefertigte Arbeit geprüft in allen
Werkstätten jeglichen Gewerbes und bei jedem Meister ohne Ausnahme.
Wurde irgendwo ein nicht ganz tadelloser Rohstoff oder eine wandelbare,
fehlerhafte Arbeit entdeckt, so wurde das eine wie das andere sofort zerschlagen
oder ohne Topf gekocht, d. h. verbrannt. Man ging dabei sehr streng zu
Werke, und die Wardierer hatten kein angenehmes Geschäft. In der Regel
besorgten es ein oder zwei von den vier geschworenen Alterleuten der be»
treffenden Handwerksgilde, die unter dem Amtsmeister standen, und daneben
ein Abgeordneter des Rates, der ein Buch mit den darin enthaltenen Vor¬
schriften mit sich führte, während die Alterleute die Maße und Gewichte hatten.
— Nachdem die Wardierer ihres Amtes bei Gottfried Henueberg gewaltet hatten,
gingen sie mit kurzem Gruße wieder von dannen. JUws Wolfs.
71. Bei der Morgensprache.
Der Amtsmeister Gotthard Henneberg stand vor den versammelten
Werkbrudern an der Morgensprachstafel und hielt das Regiment der Böttcher
in der Hand, einen starken, über zwei Schuh langen, eichenen Stab, an
dessen oberem Ende wie auch über dem Handgriff eine Tonne gebildet war.
Damit aufklopfend gebot er Stillschweigen uub sprach dann:
„Brüder, ich frage euch, es ist wohl so fern am Tage, daß ich mag
hegen und halten eine hohe Morgensprache?"
Alterniann Ditmar Elvers antwortete ihm: „Dieweil die Sonne
scheint über Bäume, Berg und Tal, Blumen und Gras, so ist es wohl so
fern am Tage, daß du magst hegen und halten eine hohe Morgensprache."
Der Amtsmeister fragte: „Was soll ich denn verbieten in dieser hohen
Morgensprache?"
Der Altermann antwortete: „Hader und Zank, Scheltwort und
Unlust."
Der Amtsmeister sprach: „So verbiete ich denn Hader und Zank,
Scheltwort und Unlust zum ersten, zum andern und zum dritten Male. Wer
zu reden hat, der rede mit Bescheidenheit und halte Frieden mit Hand und
Mund, damit er schone seines Geldes."
Er öffnete die vor ihm stehende Lade, eine sauber gearbeitete Eichen¬
truhe mit krausen Eisenbeschlägen, welche die Urkunden enthielt, entgürlete
sich seines Schwertes und legte es, die Klinge eine Spanne laug aus der
Scheide gezogen, vor sich auf den Tisch. Dann hub er an: „Hochachtbare,
fürsichtige Meister! Günstige und liebe Werkbrüderl Ich stehe als Amts¬
richter unserer ehrbaren Böttchergilde heute zum letztenmal hier, wo ich so
manches Mal gestanden habe, wenn Rat, Recht, Amt und Gilde gehalten
wurden, und ich will wünschen und hoffen, daß ich euch mit aller Billigkeit
und Ehrbarkeit zu Dank gedient habe und zu guter Nachrede. Ich übergebe
euch Rollen und Briefe, Regiment und Büchse, Kerzen, Gezierde und Kleino¬
dien mit reinen Händen, und unsere Rechnung stimmt. Da ich nun von
euch scheide, werdet ihr mir wohl ein paar inständige Bitten nicht verübeln
und versagen. Erstlich ist es meine Bitte und Meinung, daß wir aus sonder¬
licher Gunst und Gnade unseren ehemaligen Werkbruder Allhard Dippold,