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zuweilen vorkommt, daß manche wegen Ueberfüllung einzelner Orte oder
wegen Nahrungsarmuth derselben verkümmern: am rothen Meere habe ich
verhungerte Saatkrähen und Bussarde, am Mensalehsee ungemein abgemagerte
und wirklich an Nahrungsmangel zu Grunde gegangene Reiherenten gefunden.
Im Allgemeinen läßt sich aber denn doch behaupten, daß Herberge und
Nahrung in der Fremde vortrefflich sind.
Und wenn die Wandernden weiter keine Sorgen draußen hätten, sie
dürften glücklich sein. AWer ihnen drohen auf der Reise zahllose Gefahren.
Erst sind die hohen Alpen zu überfliegen, dann breitet das milde Italien
sich aus. Hier lauert in jedem Busche das Verderben. Ganz Welschland
wird zu einer Mörderhöhle; was nur getödtet werden kann, wird umgebracht.
Kaum besser ist es in Spanien; und wenn der Grieche nicht auch an dem
allgemeinen Morden Theil nimmt, ist dann wahrlich nur seine Faulheit
schuld. Und wenn die Weiterreisenden jenen Würgerbanden Südeuropas
glücklich entronnen sind, dann öffnet das Meer vor ihnen seinen Schlund,
und verschlingt Tausende von denen, welche ermatten.
Sorglos, weil unbewußt, geht der Zugvogel den ihm auf der Reise
bevorstehenden Gefahren entgegen; leicht gewöhnt er sich an das verschiedene
Klima, leicht an die verschiedene Nahrung; geschickt findet er die ihm am
besten zusagenden Wohnplätze im Süden auf; — kurz, er versteht es, in der
Fremde zu leben. Aber dennoch ist sein Leben dort das rechte Leben nicht.
Er weiß, daß er in der Fremde lebt. So lange seine Wanderung dauert,
so lange fehlt ihm auch die wahre Fröhlichkeit. Fröhlich ist er nur dann,
wenn er paarweise lebt, wenn er seine Liebe im hellen, schmetternden Liede
kundgeben, — wenn er in seiner Heimat sein kann.
Fast alle Vögel halten sich während der Zeit ihrer Wanderung in
Gesellschaften zusammen; viele Gattungen mausern; alle sind still: kein
Sänger läßt seine Lieder ertönen. Nicht ein einziger Wandervogel gründet
sich in der Fremde einen zweiten Herd, nicht einer baut ein Nest, nicht
einer brütet. Mit Ungeduld scheinen sie die Zeit ihrer Heimkehr zu erwarten.
Sie werden munter, fröhlich, wenn diese herannaht; ein neues Leben scheint
sie zu beseelen: ihre alten Lieder werden wieder wach, — sie singen. Ist es
das Gefühl der Liebe, welches sie so mächtig ergreift, ist es das der Freude,
bald heimkehren zu können, des bitteren Heimwehs süße Hoffnung, welche
sie durchwogt? Ihre Lebensfreudigkeit äußert sich in unverkennbarer Weise.
Schon im Januar sangen mir Singdrossel und Staar bei Toledo ihre
„heimatlichen Lieder;“ in Aegypten sah ich letzteren in der Februarsonne,
auf der Wasserbüffel Rücken sitzend, sein purpurschillerndes Gefieder spiegeln,
und hörte ihn im klangreichen Liede vom Frühling im Norden erzählen.
Je näher die Zeit des Rückzuges herankommt, um so lauter, liederreicher
wird der Süden. Alle Fremdlinge proben ihre Kehlen. Die Lerche steigt
singend in die Höhe; die Haidelerche lullt ihr liebliches Lied; einer nach dem
andern erwacht zu neuem Gesange. Die frühere Traurigkeit ist verschwunden,