Full text: Der moderne Geschichtsunterricht

I g Folgerungen aus den Fortschritten der Geschichtswissenschaft. 
Welt, Missstände in der Kirche, Ursachen der Revolution in Frank¬ 
reich u. s. w.) sind mit Ernst, Würde und Vorsicht zu behandeln; 
so ist ganz besonders zu betonen und an Beispielen zu beweisen, 
dass einzelne unwürdige Träger einer Idee oder Institution noch 
lange nichts gegen den inneren Wert und die sittliche Berechtigung 
der Idee 'oder Institution beweisen (LUDWIG XV. und die Monarchie, 
ALEXANDER VI. und das Papsttum). Wert oder Unwert einer 
Idee oder Institution hängt eben nicht ab von der Qualität der 
jeweiligen Vertreter derselben, sondern von dem thatsächlichen 
Kulturfortschritt, der durch die betreffende Idee oder Institution 
geleistet wird. 
Was die eigentliche Methode der Unterrichtserteilung anbelangt, 
so muss sie vor allem genetisch sein, d. h. nicht etwa nur die 
Ereignisse oder Verhältnisse an sich, sondern der innere, organische 
Zusammenhang derselben muss betont werden,*) soweit natürlich 
ein solcher vorhanden ist. Wo aber der logische Zusammenhang 
vorhanden ist und nachgewiesen werden kann, ist die zunächst 
wichtige Frage: »Was hat sich ereignet?« Wichtiger ist dann die 
Frage: »Wie hat es sich ereignet?« Am wichtigsten aber ist die 
Frage: »Warum hat es sich überhaupt ereignet und warum gerade 
so und nicht anders?« Bei solchen Ereignissen oder Verhältnissen 
ist dann klar zu legen, wie sie sich aus dem Vorhandenen und 
Ursächlichen heraus entwickelt, welche Bedeutung sie für ihre Zeit 
gehabt und welche Konsequenzen sich daraus für die Zukunft 
ergeben haben. Personen und Ereignisse sind aus ihrer Zeit heraus 
zu beurteilen, der Massstab unserer Zeit und unserer Anschauungen 
darf nicht an die Vergangenheit angelegt werden. Dabei ist die 
Bedeutung des persönlichen Momentes in der Geschichte auf das 
richtige Mass zurückzuführen, ohne es dabei zu unterschätzen. Es 
muss gezeigt werden, dass bedeutende Männer der Geschichte auch 
einen bedeutenden Einfluss auf dieselbe geübt haben, dass sie aber 
doch nur dann wirklich bedeutende und dauernde Erfolge errangen, 
wenn sie es verstanden, die treibenden und bewegenden Ideen ihrer 
Zeit zu erfassen und gewissermaßen in sich zu verkörpern, z. B. 
LUTHER und die Reformationsidee, BISMARCK und die deutsch¬ 
nationale Idee u. s. w. 
*) Da aber bekanntlich nicht jedes Ereignis sich folgerichtig aus dem Vor¬ 
handenen entwickelt, sondern unmotivierte Sprünge und Eingriffe genug vorkommen, 
so kann natürlich kein Zusammenhang hergestellt werden, wo keiner da ist.
	        
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