Full text: [Teil 3, [Schülerband]] (Teil 3, [Schülerband])

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„Das war sehr weislich erinnert!“ sprach der Hamster. 
„Jawohl!“ rief auch der Igel. „Ich glaub' es nimmermehr, daß der 
Mensch Scharfsichtigkeit genug besitzt.“ 
„Schweigt ihr!“ befahl das Pferd. „Wir wissen es schon: wer sich auf 
die Güte seiner Sache am wenigsten zu verlassen hat, ist immer am fertigsten, 
die Einsicht seines Richters in Zweifel zu ziehen.“ 
2. Der Mensch ward Richter. „Noch ein Wort,“ rief ihm der majestä— 
tische Löwe zu, „bevor du den Ausspruch tust! Nach welcher Regel, Mensch, 
wirst du unsern Wert bestimmen?“ 
„Nach welcher Regel? Nach dem Grade ohne Zweifel,“ antwortete 
der Mensch, „in welchem ihr mir mehr oder weniger nützlich seid“ 
„Vortrefflich!“ versetzte der beleidigte Löwe. „Wie weit würde ich als— 
dann unter den Esel zu stehen kommen! Du kannst unser Richter nicht 
sein, Mensch! Verlaß die Versammlung!“ 
3. Der Mensch entfernte sich. „Nun,“ sprach der höhnische Maulwurf, 
und ihm stimmte der Hamster und der Igel wieder bei, „siehst du, Pferd, 
der Löwe meint es auch, daß der Mensch unser Richter nicht sein kann! 
Der Löwe denkt wie wir.“ 
„Aber aus bessern Gründen als ihr!“ sagte der Löwe und warf ihnen 
einen verächtlichen Blick zu. 
Der Löwe fuhr weiter fort: „Der Rangstreit, wenn ich es recht über— 
lege, ist ein nichtswürdiger Streit! Haltet mich für den Vornehmsten oder 
für den Geringsten, es gilt mir gleich viel. Genug, ich kenne mich!“ Und 
so ging er aus der Versammlung. 
Ihm folgte der weise Elefant, der kühne Tiger, der ernsthafte Bär, 
der kluge Fuchs, das edle Pferd, kurz alle, die ihren Wert fühlten oder 
zu fühlen glaubten. 
Die sich am letzten wegbegaben und über die zerrissene Versammlung 
am meisten murrten, waren — der Affe und der Esel. 
G. Ephraim Lessing. 
57. Zeus und das Brhaf. 
Das Schaf mußte von allen Tieren vieles leiden. Da trat es vor 
Zeus und bat, sein Elend zü mindern. Zeus schien willig und sprach zu 
dem Schafe: „Ich sehe wohl, mein frommes Geschöpf, ich habe dich allzu 
wehrlos erschaffen. Nun wähle, wie ich diesem Fehler am besten abhelfen 
soll. Soll ich deinen Mund mit schrecklichen Zähnen und deine Füße mit 
Krallen rüsten?“ — „O nein,“ sagte das Schaf; „ich will nichts mit den 
reißenden Tieren gemein haben.“ — „Oder“, fuhr Zeus fort, „soll ich Gift 
in deinen Speichel legen?“ — „Ach,“ versetzte das Schaf, „die giftigen 
Schlangen werden ja so sehr gehasset!“ — „Nun, was soll ich denn? Ich
	        
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