351
294. Preußens Erhebung.
Aus dem Verderben, von welchem Napoleon in Rußland ereilt worden
war, erkannte das deutsche Volk, daß Gott nun die Schmach von ihm
nehmen und die Völkergeißel zerbrechen wolle. Mit Verlangen sah es der
Ankunft russischer Krieger auf deutschem Boden entgegen; mit der lebhaftesten
Freude wurden sie empfangen; man wußte, daß sie als Freunde kamen.
Preußen erhob sich zuerst. König Friedrich Wilhelm erließ am
3. Februar 1813 einen Aufruf an sein Volk, sich zur Befreiung des Vater⸗
landes zu bewaffnen. Zugleich wurde eine Verordnung wegen Einrichtung
der Landwehr erlassen. Ihr Wahlspruch sollte sein: „Mit Gott für König
und Vaterland.“ Zum Zeichen, daß der Kampf ein heiliger sei, mußten
die Landwehrmänner ein Kreuz an ihre Mützen heften. Die Begeisterung
für den Kainpf ergriff alle Stände. Aus allen Gegenden des Vaterlandes
sammelten sich die Freiwilligen; Jünglinge, Männer mit grauem Haar:
alle eilten zu den Waffen. Wer nicht mitziehen konnte, gab sein Geld
und Gut. Die Frauen brachten ihren Schmuck und ihr Silbergerät. Be—
geisternde Vaterlandsgesänge entflammten den wachsenden Mut. Die
Krieger begaben sich, ehe sie auszogen, in die Kirche. Dort ward ge—
predigt: „Fürchtet euch nicht; ziehet aus wider die Feinde, der Herr ist
mit euch!' Dann wurde Gottes Segen auf sie herabgefleht. Unter ernstem
Glockengeläute zogen die Scharen durch die Städte und Dörfer, und die
Daheimgebliebenen kamen des Abends zusammen in den Kirchen und riefen
den Herrn an für ihre Brüder.
Noch immer war der Feind stark. Schon im Frühjahr 1813 stand
Napoleon wieder mit einem Heere von 300000 Mann inmitten Deutsch—
lands. Die meisten deutschen Fürsten mußten noch einmal im Gefolge der
Feinde die eigenen Landsleute bekriegen. Dem Bündnisse Preußens und
Rußlands wider Napoleon traten erst England und Schweden, sodann auch
Osterreich bei.
Der heilige Kampf begann am 2. Mai mit dem Siege der ver—
bündeten Preußen und Russen bei Groß-Görschen. Hier behaupteten
70000 Mann das Schlachtfeld gegen 120000 Franzosen. Die Preußen
hatten keine Fahne, keine Kanone verloren; aber der tapfere General
Scharnhorst, ein geborner Hannoveraner, war tödlich verwundet worden;
er starb bald darauf in Prag. Die Schlacht bei Bautzen dagegen gewann
Napoleon, und nun dachte er Berlin in seine Gewalt zu bringen. Dies
Vorhaben wurde aber durch den preußischen General Bülow vereitelt, der
bei Groß-Beeren am 23. August 1813 einen glänzenden Sieg erfocht.
Seine Truppen waren hungrig und vom Regen durchnäßt; aber als es
hieß: „Zum Angriff!“ antworteten sie mit lautem Hurra. Mann stand
gegen Mann. Da drehten die Landwehrmänner ihre Flinten um und
schlugen mit dem Kolben drein: „So fluscht et büter.“
Drei Tage nach diesem Siege schlug der siebenzigjährige Held Blücher
die Franzosen an der Katzbach. Er stand am rechten Ufer derselben und
beschloß, die Franzosen am jenseitigen Ufer aufzusuchen. Dieselbe Absicht
hatte der französische Feldherr. Als Blücher den Fluß erreichte, fand er
die Franzosen unvermutet schon am diesseitigen Ufer. Er stellte sein Heer