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Bereiches zu errichten erlaubte. Eine Eiche von 30 Jahren kann aber
ein Knabe noch mit seiner Hand umspannen, und erst nach 200 Jahren
ist der mächtige Baum völlig ausgewachsen. Dafür geht aber auch
sein Alter noch über fünf Jahrhunderte hinaus. Ein aller Eichbaum
mit seiner rauhen, geborstenen, von Mods durchfurchten Rinde steht
inmitten der jungen, schnell lebenden Baumwelt da, wie ein greiser
Erzvater unter seinen Kindern, Kindeskindern und Urenkeln! Geschlechter
auf Geschlechter sind entstanden und vergangen wie eine Blume des
Feldes, aber der Alte ist im Sturme der Fahrhunderte unerschüttert
geblieben; eine wunderbare Gotteskraft hat ihn erhalten zum lebendigen
Zeugnis einer längst entschwundenen Zeit, von welcher nur die Sage
berichtet.
Wie die sinnigen Griechen die mächtige Eiche dem mächtigsten ihrer
Götter, dem erhabenen Donnerer Zeus geweiht hatten, so war auch
unsern Altvordern dieser Königsbaum dem mächtigen Donnergott Thor
geheiligt, der im zackigen Bliß und rollenden Donner sich den Stetb—
lichen offenbarte. Der heilige Eichenhain durfte nicht von Uneingeweihten,
allein nur vom opfernden Priester betreten werden, und wo eine heilige
Eiche stand, würde keines Menschen Hand gewagt haben, sie ihres
Laubes oder ihrer Zweige zu berauben oder gar umzuhauen. Dieses
Recht hatte allein der aus der Gewitterwolke zerschmetternd nieder⸗
fahrende Wetterstrahl ihres Gottes In dem heiligen Dunkel der
deutschen Eichenwälder saßen einst die Priesterinnen unserer Väter und
lauschten dem prophetifchen Rauschen der Blätter, um der harrenden
Menge den Ausspruch der Götter zu verkünden. Hier barg man auch
die geweihten Fahnen und holte sie mit Ehrfurcht hervor, wenn der
Schlachtruf in den Gauen wiederhallte und die Tapfern aufrief zum
Streit. Und wer dann mutig gefochten und den Sieg errungen hatte,
den krönte ein Kranz von Eichenlaub, und diese Blätterkrone galt
mehr als eine goldene Fürstenkrone Desgleichen, wenn die alten
Deutschen über Krieg oder Frieden beraten wollten, so versammelten sie
sich nicht zwischen den vier eugen Wänden eines Hauses, sondem sie
kamnen zusammen in einem größeren und schöneren Saale, dessen Boden
ein grüner Teppich von Graß und Walbblumen und dessen Siulen
die hohen Eichbnne waren.
WVie ein tapferer Krieger, der nicht von seinem Platze weicht, sleht
die Eiche da, gehalten von kräftigen Wurzeln, die eben so stark find,
als die mächtigen Aste und Zweigen Darum mag der Sturm toben,
wie er immer will, der Eichbaum bietet ihm Trotz und rührt sich nicht
Auch seine Rinde ist eisenfest und so stark, daß sie den schwersten
Hieben der Art lange widersteht. So stark und fest das Holz, so
schön ist der Schmuck der großen, zierlich in Wellenlinien ausgezackten,
glänzend grünen Blätter, die wiederum alles andere Laub an Aus
dauer und Festigkeit übertreffen und, obschon welk geworden, doch den
Winten hindurch bis zum Frühling ausharren, wo das neue junge
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