Full text: Lesebuch für die Mittel- und Oberstufe (Teil 2, [Schülerband])

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B. Auf Gottes schoͤner Erde. 
102. Die Liche. 
1. Die Liche ist der stattlichste und krüftigste Baum unsrer 
Laubholz-Walder, ein wahrer Riese des Waldes. Tief in die 
Erde schlägt sie ihre starken, knorrigen Wurzeln. Unerschütter- 
lieh fest steht sie in Sturm und Ungewitter. Ihre hundert 
kräftigen Aste reckt sie wie riesige Arme schirmend aus. Dor 
müde Wandrer eilt freudig zu ihr hin; in ihrem Schatten findet 
er sübe Ruhe. Hoch in den Zweigen singt der Vögel Chor ihm 
das Schlummerlied. 
Ihren Stamm können oft mehrere Männer kaum umsfassen. 
Unzählbare, schöngeschweifte Blätter bilden seine grobe, grüne 
Krone. Grüne Blütenkätzchen und rötliche Spitzgehen hängen im 
Frühjahre dazwischen und im Herbste viele niedliche LBicheln, 
die in körnigen Näpfehen sitzen. FPlechten hängen in langen, 
weiben Bärten von den Zweigen. 
2. Welehe Menge von Tieren pflegt äie königliche Dicehe! 
Schnecken kriechen langsam empor, um von dem frischen Laube 
zu naschen. Unten lauert die Blindschleiche auf sie, um sie zu 
verspeisen, wenn sie gesättigt herabsteigen. Kleine Gallwespen 
laufen auf den Blättern hin und her und bohren mit ihrem feinen 
Stachel ein kleines Loch hinein. EDin winziges LDi kommt dann 
ins grüne Blatt, der Saft strömt hinzu, und ein runder Gallapfel 
hildet sich. In ihm leben die Würmchen, die aus den PDiern 
krochen, bis sie grob genug sind und wieder kleine Gallwespen 
werden. Marienkäferchen und Plorfliegen geben dem Lichbaume 
ihre Vier in Verwahrung. Sie wissen schon, dab ihre Jungen auf 
dem Baume reiche Nahrung finden. Eine Menge verschiedener 
Raupen zehren von dem Laube und puppen sieh am Lichenstamme 
ein. Schöne Lichenschmetterlinge kriechen aus ihnen hervor. 
Die Eiche ist ihr Vaterland und ihr Ernährer. Maikäfer schmausen 
hier, Hirschkäfer zerreißben mit ihrem zackigen Geweih die jungen 
Zweige und trinken ihren Saft. Der Laubfrosch verbirgt sich 
zwischen den grünen Blättern. Der Specht kommt und lopst 
an den Stamm und zieht die fliehenden Würmehen ans Tages- 
licht. Sind die Licheln reif, so halten Nub- und Lichelhäher mit 
schöõnen, blauen Flügelfedern ihre DUrnte. LDichhörnchen bauen 
zwischen den breiten Zweigen ihr Haus und sammeln ihren 
Wintervorrat. Die Holztaube hat nicht weit davon ihr Nest und 
führt ihre Jungen auf dem Aste aus. Der Marder späht nach 
Eiern, der Kuckuck sucht nach Raupen, und die Eule umschwebt
	        
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