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Eine schöne Welt ist da versunken
Ihre Trümmer blieben unten steh'n,
Lassen sich als gold'ne Himmels funken
Oft im Spiegel meiner Träume seh'n.
Und dann möcht ich tauchen in die Vefen,
Mich versenken in den Widerschein,
Und mir ist, als ob mich Engel riefen
In die alte Wunderstadt hinein.
(W. Muller.)
11. Bernstein und Bernsteinfischerei.
Schon die alten Phönizier holten den Bernstein von der Küste
der Ostsee, und noch jetzt wird dort jährlich eine große Menge dieses
wunderbaren Minerals gewonnen, das als Überbleibsel einer unter—
gegangenen Schöpfung die Wunder der Vorwelt verkündigt. Als
flüssiges Harz ist es vor vielen Jahrtausenden in reicher Fülle wahr—
scheinlich einem Baum entquollen, der jetzt nirgends mehr anzutreffen
ist, der aber in Preußen in ungeheuren Waldungen vorhanden gewesen
und durch mächtige Fluten untergegangen sein muß. Der Bernstein
schließt eine große Menge thierischer Überreste ein, besonders allerhand
Insekten- und Spinnenarten, die oft ganz unbeschädigt sind, und
denen man zum Theil ansieht, wie sie der Tod mitten in hrer vollsten
Lebensthätigkeit überraschte; sie breiten die Flügel aus, strecken Fuüͤße
und Fühlhörner, als ob sie noch lebten; ja, man findet Springkäfer,
die im Augenblicke des Fortschnellens von dem dünnflüssigen und schnell
sich erhärtenden Harze umhüllt wurden.
Der Bernstein wird meist in kleinen, unregelmäßigen Körnern
gefunden; das größte Stück, welches man besitzt, ist 861/2 Emtr. lang,
202 CEmtr. breit, 151/2 Emtr. dick, wiegt 14 Pfund und wird auf
120,000 Mk. geschätzt; sonst gehören Bernsteine von dem Gewicht
eines halben Pfundes schon zu den Seltenheiten. Aus dem Bernstein
werden vielerlei Kunst- und Schmucksachen angefertigt.
Die Ostsee wirft auf der ganzen preußischen Küste Bernstein an
das Land, welcher von besonders dazu angestellten Strandreitern
regelmäßig in den ersten Stunden des Tages aufgesucht wird. Der
meiste Bernstein aber wird durch Schöpfen aus dem Meere gewonnen.
Bei ruhigem Wetter sieht man ihn nämlich auf dem Grunde der Ostsee
deutlich liegen. Deshalb benutzen die Bernsteinschöpfer die Meeres—
stille fahren auf Böten in die See hinein, brechen ihn mit spitzen
Stangen los und ziehen ihn mit Netzen heraus. Wenn einige Tage
hindurch ein heftiger Nordwind die See aufgerührt hat und darnach
wieder ruhiges Wetter eingetreten ist, so haben es die Bernsteinschöpfer
bequemer. Der Sturm hat alsdann den Bernstein vom Grunde des
Meeres losgerissen und ihn, in Seetang u— dgl. verwickelt in die Nähe
der Küsten geworfen. Sobald ein Straͤndreiter daher das Herannahen
der Seekraͤuter, die den Bernstein zu enthalten pflegen, bemerkt, ver—
sammelt er die zum Schöpfen verpflichteten Bauern. Diese gehen, mit
groben, wollenen oder auch wohl ledernen Unterkleidern und Röcken
bekleidet, mit weiten, an langen Stangen befestigten Netzen bis über