Full text: Deutsches Lesebuch für die Oberklassen der Volksschule

194 
Eine schöne Welt ist da versunken 
Ihre Trümmer blieben unten steh'n, 
Lassen sich als gold'ne Himmels funken 
Oft im Spiegel meiner Träume seh'n. 
Und dann möcht ich tauchen in die Vefen, 
Mich versenken in den Widerschein, 
Und mir ist, als ob mich Engel riefen 
In die alte Wunderstadt hinein. 
(W. Muller.) 
11. Bernstein und Bernsteinfischerei. 
Schon die alten Phönizier holten den Bernstein von der Küste 
der Ostsee, und noch jetzt wird dort jährlich eine große Menge dieses 
wunderbaren Minerals gewonnen, das als Überbleibsel einer unter— 
gegangenen Schöpfung die Wunder der Vorwelt verkündigt. Als 
flüssiges Harz ist es vor vielen Jahrtausenden in reicher Fülle wahr— 
scheinlich einem Baum entquollen, der jetzt nirgends mehr anzutreffen 
ist, der aber in Preußen in ungeheuren Waldungen vorhanden gewesen 
und durch mächtige Fluten untergegangen sein muß. Der Bernstein 
schließt eine große Menge thierischer Überreste ein, besonders allerhand 
Insekten- und Spinnenarten, die oft ganz unbeschädigt sind, und 
denen man zum Theil ansieht, wie sie der Tod mitten in hrer vollsten 
Lebensthätigkeit überraschte; sie breiten die Flügel aus, strecken Fuüͤße 
und Fühlhörner, als ob sie noch lebten; ja, man findet Springkäfer, 
die im Augenblicke des Fortschnellens von dem dünnflüssigen und schnell 
sich erhärtenden Harze umhüllt wurden. 
Der Bernstein wird meist in kleinen, unregelmäßigen Körnern 
gefunden; das größte Stück, welches man besitzt, ist 861/2 Emtr. lang, 
202 CEmtr. breit, 151/2 Emtr. dick, wiegt 14 Pfund und wird auf 
120,000 Mk. geschätzt; sonst gehören Bernsteine von dem Gewicht 
eines halben Pfundes schon zu den Seltenheiten. Aus dem Bernstein 
werden vielerlei Kunst- und Schmucksachen angefertigt. 
Die Ostsee wirft auf der ganzen preußischen Küste Bernstein an 
das Land, welcher von besonders dazu angestellten Strandreitern 
regelmäßig in den ersten Stunden des Tages aufgesucht wird. Der 
meiste Bernstein aber wird durch Schöpfen aus dem Meere gewonnen. 
Bei ruhigem Wetter sieht man ihn nämlich auf dem Grunde der Ostsee 
deutlich liegen. Deshalb benutzen die Bernsteinschöpfer die Meeres— 
stille fahren auf Böten in die See hinein, brechen ihn mit spitzen 
Stangen los und ziehen ihn mit Netzen heraus. Wenn einige Tage 
hindurch ein heftiger Nordwind die See aufgerührt hat und darnach 
wieder ruhiges Wetter eingetreten ist, so haben es die Bernsteinschöpfer 
bequemer. Der Sturm hat alsdann den Bernstein vom Grunde des 
Meeres losgerissen und ihn, in Seetang u— dgl. verwickelt in die Nähe 
der Küsten geworfen. Sobald ein Straͤndreiter daher das Herannahen 
der Seekraͤuter, die den Bernstein zu enthalten pflegen, bemerkt, ver— 
sammelt er die zum Schöpfen verpflichteten Bauern. Diese gehen, mit 
groben, wollenen oder auch wohl ledernen Unterkleidern und Röcken 
bekleidet, mit weiten, an langen Stangen befestigten Netzen bis über
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.