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127. Die verstorbene Gerechtigkeit.
Vor langer Zeit lebte ein gewaltig reicher und mächtiger
Graf, dem alles nach seinem Kopfe gehen mußte. Er fragte
nicht nach Recht und Billigkeit, sondern schaltete und waltete
nur nach Willkür. Da kam er einmal auf einem Spazier—
ritte zu einem großen, schönen Landhause, das ihm gar sehr
in die Augen stach. Er besichtigte deshalb das gaänze Gehöfte
und ritt dann vor das Haus hin, wo eben der Bauer, dem
das Anwesen gehörte, unter der Hausthüre stand. Der Graf
grüßte ihn freundlich, stieg vom Rosse und sprach: „Guter
Freund, möchtest du mir nicht deinen Hof zu kausfen geben?
Ich würde ihn sehr gut bezahlen.“ Der Bauer aber bedachte
die Frage nicht lange und antwortete: „Euer Gnaden, nichts
für ungut. Aus dem Handel wird nichts; denn auf diesem
Hofe saßen meine Voreltern schon, und ich will auch darauf
meine alten Tage zubringen. Also nichts für ungüt!“ —
Da sagte, der Graf: „Ich will dir bis morgen Bedenkzeit
lassen. Überleg' es dir gut.“ Dann stieg er auf sein Pferd
und sprengte von dannen. Der Bauer blieb bei seinem Vor—
haben, schüttelte den Kopf und dachte sich: „Daraus wird
einmal nichts.“
Am folgenden Tag kam der Graf schon in aller Frühe
dahergeritten und fragte, ohne abzusteigen, den Bauer, was
er jetzt beschlossen habe. Da ankwortete der Bauer: „Ich
habe, Euer Gnaden, meinen Entschluß nicht aufgegeben. Ich
bleib' auf meinem Hofe, und aus diesem Handel wird nichts.“
Da wurde der Graf zornig und sprach: Ich frage dich noch
einmal, ob du dein Anwesen gutwillig hergeben willst! Wo
nicht, so bekomme ich es doch!“ Der Bauer schüttelte jedoch
seinen Kopf und erwiderte: „Dabei bleibt's, ich verkaufe
meinen Hof nicht.“ Nun wurde der Graf ganz rot vor Zorn
und sprengte mit seinem Rosse auf und davon. Er ritt sporn⸗
streichs zu einem Advokaten, bestach ihn mit vielem Gelde und
ließ dem Landmanne einen Prozeß anhängen. Die Richter
wußten, daß der Graf ein steinreicher Mann sei und bei dem
Handel Geld herausschaue. Deshalb hielten sie zu dem
Grafen und versprachen ihm, das Bäuerlein mürbe zu machen.
Sie ließen nun den Bauern durch den Gerichtsdiener herbei—
holen und fragten ihn, ob er seinen Hof verkaufen wolle
oder nicht. Als er ein entschiedenes „Nein“ erwiderte, wurde
ihm eine Klageschrift vorgelesen und gesagt, wenn er den Hof