Full text: Lesebuch für die Oberstufe (Teil 4, [Schülerband])

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V. Aus unsrer Väter Tagen. 
165. Im alten Deutschland. 
1. Einst, in grauer Vorzeit, waren die Germanen aus Mittel— 
asien, der großen Völkerwiege, in Europa eingewandert. Vor ihnen 
her zogen die Kelten, die den Westen und die Mitte Europas ein— 
nahmen, hinter ihnen die Slaven, denen der Osten zufiel. Der Suden 
war bereils von andern Völkern besetzt, aus denen die Griechen und 
Römer hervorgingen. So blieb den Germanen eigentlich nur der 
Norden des Weltteils. Sie unterwarfen oder verdrängten die Urein— 
wohner dieser Gegenden an der Ostsee; aber in langen harten Kämpfen 
eroberten sie sich auch die Mitte. Denn wenn auch die hier hausenden 
Kelten tapfer und stark waren, so waren die Germanen doch noch tapfe— 
rer und stärker und drangen allmählich nach Westen bis zum Rheine 
und nach Süden bis zur Donau siegreich vor. 
2. Die Römer, die in den warmen, fruchtbaren und wohlange— 
bauten Gegenden am schönen Mittelmeere lebten, haben viel Ab— 
schreckendes von der Beschaffenheit des deutschen Landes erzählt. Sie 
naͤnnten es ein ungestalles und rauhes Land. Und freilich sah es 
namentlich im Norden zwischen Ems und Niederelbe traurig aus. Un— 
gehindert konnten dort die wilden Meeresfluten oft auf viele Meilen 
den flachen, öden Strand überströmen, und weiter landeinwärts folgte 
ein schauerliches Durcheinander von Sümpfen und Urwald. An den 
Ufern der Ströme wuchsen riesige Eichen. Wenn diese vom Wasser 
unterwühlt oder durch Stürme losgerissen wurden, stürzten sie um 
und kehrten ihre weitverzweigten Wurzeln gen Himmel. Manchmal 
trieben sie auch samt großen Stücken des Bodens die Flüsse hinunter 
ins Meer und setzten mit ihrem ungeheuren Geäste, das sich wie Maste 
und Takelwerk ausnahm, die fremden Schiffe in Schrecken. Urwald be— 
deckte überhaupt den größten Teil Germaniens; aber deshalb sah es 
doch nicht überall grausig und wild aus. All die schönen deutschen 
Ströme, der Rhein, die Donau, der Main, die Weser, die Elbe und 
wie sie alle heißen, wälzten reichlicher und klarer als heutzutage ihre 
grünlichen Wogen dem Meere zu. Alle die zahllosen Bäche und Quellen 
plätscherten, nur ungetrübt und ungehindert, durch Wald und Weiden. 
Der liebliche Wechsel zwischen Tälern und Hügeln, der namentlich die 
mittleren Gegenden unseres Vaterlandes so reizend macht, bestand da— 
mals wie jeht. Der wunderherrliche deutsche Wald war auch nicht 
allenthalben so schauerlich und undurchdringlich, wie die Römer be—
	        
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