4
.3. Was ist Gott?
Der heidnische König Hiero sprach zu seinem be¬
rühmten Weltweisen Simonides: „Sage mir, was ist
Gott?" — „Gieb mir einen Tag Bedenkzeit," antwortete
der Weise, „so will ich dir's sagen." Als der Tag um
war und der König die Antwort begehrte, sagte er: „Gieb
mir zwei Tage Bedenkzeit, so will ich dir's sagen." Als
die zwei Tage auch um waren, und der König die Ant¬
wort begehrte, sagte Simonides: „Gieb mir vier Tage
Bedenkzeit, so will ich dir es sagen" und so fuhr er fort
und gab keine Antwort, sondern verlangte immer doppelt
so viel Bedenkzeit, als er das letztemal sich ausgebeten.
Als der König endlich ungeduldig ward und ihn fragte,
was dies jedesmalige Aufschieben bedeute, sagte der Welt¬
weise: „Je mehr ich der Sache nachdenke, desto weniger
verstehe ich davon!" —
Du, mein Kind, weißt in zwei kurzen Sprüchlein auf
des Königs Frage eine Antwort zu geben, auf die der
alte Weltweise nimmer gekommen wäre, wenn er auch
noch hundert Jahre sich hätte besinnen dürfen.
Das eine besagt: „Gott ist ein Geist" und das andere
„Gott ist die Liebe!" —
4. Morgengebet.
Verschwunden ist die finstre Nacht,
die Lerche schlägt, der Tag erwacht,
die Sonne kommt mit Prangen
am Himmel aufgegangen.
Sie scheint in Königs Prunkgemach,
sie scheinet durch des Bettlers Dach;
und was in Nacht verborgen war,
das macht sie kund und offenbar.
Lob sei dem Herrn und Dank gebracht,
der über jedes Haus gewacht
mit seinen heil'gen Schaarcn,
uns gnädig zu bewahren!