2.
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195. Reiters Morgengesang.
L. Morgenrot,
leuchtest mir zum frühen Tod?
Bald wird die Trompete blasen,
dann muß ich mein Leben lassen,
ich und mancher Kamerad.
2. Kaum gedacht,
war der Lust ein End gemacht.
Gestern noch auf stolzen Rosfen,
heute durch die Brust geschossen,
morgen in das kühle Grab!
3. Ach, wie bald
schwindet Schönheit und Gestalt!
Tust du stolz mit deinen Wangen,
die mit Milch und Purpur prangen?
Ach! die Rosen welken all'!
4. Darum still
füg' ich mich, wie Gott es will.
Nun, so will ich wacker streiten,
und sollt' ich den Tod erleiden,
stirbt ein braver Reitersmann.
Wilhelm Hauff.
196. Der Allerürmste.
Im Frühling des Jahres 1871 war es, als zwei Kinder,
ein Knabe und ein Mädchen, ein Körbchen voll Kuchen in das Kloster
der barmherzigen Schwestern brachten für die armen verwundelen
Soldaten, die dort in einem Seitengebäude untergebracht waren.
Auch einen großen, rotwangigen Apfel brachten sie mit, den sie
freilich sehr gern selber gegessen hätten, dennoch aber zu den Kranken
trugen, um ihn dem Allerärmsten zu schenken. „Aber kein Franzose
soll ihn haben,“ sagte der Knabe heftig, und das Mädchen wieder—
holte: „Nein, kein Franzose, nur ein Deutscher, der Allerärmste, dem
Arme und Beine abgeschossen sind.“
„Ihr mögt ihn selber austeilen,“ sagte die barmherzige Schwester;
„ihr dürft mich begleiten, denn ich will eben meine armen Freunde
besuchen · Das Mädchen nahm denn ihr Körbchen und der Junge
seinen Apfel und sie folgten mit behutsamen Schrilten der freundlichen
Führerin. Noch vor der Tür des Hauses sah der Knabe seinen Apfel
so zärtlich an, daß die Nonne lächelnd erwartete, die lockende Frucht
würde auf der Stelle verspeist werden, aber nach kurzem Kampfe legte
ihn der Bruder in das Körbchen der Schwester und sagte aufatmend:
„Verwahre du ihn lieber!“ Die Tür öffnete sich, und sie traten ein
wenig furchtsam in den langen Saal. Da standen die reinlichen,
schlichten Betten, das eine dicht neben dem andern, und auf jeben