Metadata: Mittelstufe, Oberabteilung, (3. Klasse der Berliner Gemeindeschule) (Teil 3, [Schülerband])

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Bette lag eine Männergestalt, ein tapferer Kämpfer, still ausgestreckt, 
Freund und Feind friedlich durcheinander. Es war zwar das Zimmer 
der Genesenden, aber die meisten von ihnen konnten doch noch nicht 
ufrecht sihen und sahen sehr blaß und matt aus. Wie viele Schmerzen 
halten sie wohl aushalten müssen, ehe sie diese Ruhestatt erreichten, 
wie sut das Fieber heiß gebrannt, als sie auf dem Wagen lagen, 
der sie langsam in der Sonnenglut hierher fuhr! — Hier und da lag 
ine verbundene Hand auf der Decke, eine feindliche Kugel hatte die 
Flnger zerschmettert; hier wurde ein Armstummel sichtbar, dort ragte 
der dickẽ Vealband eines Beines hervor; dem hatte man den Fuß ab— 
nehmen mussen, der trug ein großes Tuch um seine zerbrochene Kinn⸗ 
lade, hier war eine Stirn mit Pflastern zugedeckt, da lag noch eine 
Vinde uber den armen, halbblinden Augen, überall Leid und Weh 
und doch auch Geduld und Hoffnung. 
An den Wänden hingen allerlei Bilder, der Kaiser Wilhelm 
und verschiedene Könige und Prinzen, Bismarck, Moltke, Roon 
Und diele andere Generale, und mitten darunter die Bilder irgend 
nes allen Vaters, einer treuen Mutter, einer guten Schwester, einer 
Braut, einer Frau; auch Kinderköpfchen hingen da, denn die armen 
Kranken hatten ja alle ihre Lieben daheim, an denen ihre Herzen 
hingen, und die für sie gebetet hatten und noch beteten. Und sie 
ahlten einander von ihren Lieben und fragten einander nach ihnen 
und lafen fich die Briefe vor, die sie von daheim bekommen, und 
des Plauderns war kein Ende, und die Zeit wurde ihnen nicht lang. 
Freund und Feind schwatzten zusammen und hatten gelernt, sich 
verstündigen und lehrten einander die eigene Sprache in einzelnen 
Worlen. — Und die barmherzige Schwester hatte für jeden ein 
Lcheln und eine freundliche Frage; die Kinder folgten ihr und 
gingen mit heißen Wangen und großen, scheuen Augen von Bett zu 
Benn und teilten ihre kleinen Kuchen aus. Sie legten sie in die 
Hände des Feindes wie des Freundes. „Sie haben ja alle ihre 
Pflicht getan,“ — sagte die barmherzige Schwester sanft, „haben 
gekämpft und gelitten und liegen nun gelähmt und voll Schmerzen 
einer wie der andere.“ 
Endlich war alles verteilt, nur der schöne, rote Apfel noch nicht. 
Wo war denn der Allerärmste unter ihnen? 
Da fielen die suchenden Blicke der Kinder auf einen jungen 
Franzosen, der einsam im entferntesten Winkel saß Er schien wohl 
der Gesündeste von ihnen allen; denn er konnte sich frei hewegen 
und trug keinerlei Verband mehr, aber sein Gesicht war doch so 
trauxig und blaß wie kein anderes. 
„Was fehlt ihm?“ fragten leise die Kinder. 
Er ist geheilt und wird morgen entlassen und darf in seine 
Heimat zurückkehren.“ 
„Wie kann er da so traurig aussehen?“ 
Weil er daheim niemand findet, der sich auf ihn freut und
	        
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