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Bette lag eine Männergestalt, ein tapferer Kämpfer, still ausgestreckt,
Freund und Feind friedlich durcheinander. Es war zwar das Zimmer
der Genesenden, aber die meisten von ihnen konnten doch noch nicht
ufrecht sihen und sahen sehr blaß und matt aus. Wie viele Schmerzen
halten sie wohl aushalten müssen, ehe sie diese Ruhestatt erreichten,
wie sut das Fieber heiß gebrannt, als sie auf dem Wagen lagen,
der sie langsam in der Sonnenglut hierher fuhr! — Hier und da lag
ine verbundene Hand auf der Decke, eine feindliche Kugel hatte die
Flnger zerschmettert; hier wurde ein Armstummel sichtbar, dort ragte
der dickẽ Vealband eines Beines hervor; dem hatte man den Fuß ab—
nehmen mussen, der trug ein großes Tuch um seine zerbrochene Kinn⸗
lade, hier war eine Stirn mit Pflastern zugedeckt, da lag noch eine
Vinde uber den armen, halbblinden Augen, überall Leid und Weh
und doch auch Geduld und Hoffnung.
An den Wänden hingen allerlei Bilder, der Kaiser Wilhelm
und verschiedene Könige und Prinzen, Bismarck, Moltke, Roon
Und diele andere Generale, und mitten darunter die Bilder irgend
nes allen Vaters, einer treuen Mutter, einer guten Schwester, einer
Braut, einer Frau; auch Kinderköpfchen hingen da, denn die armen
Kranken hatten ja alle ihre Lieben daheim, an denen ihre Herzen
hingen, und die für sie gebetet hatten und noch beteten. Und sie
ahlten einander von ihren Lieben und fragten einander nach ihnen
und lafen fich die Briefe vor, die sie von daheim bekommen, und
des Plauderns war kein Ende, und die Zeit wurde ihnen nicht lang.
Freund und Feind schwatzten zusammen und hatten gelernt, sich
verstündigen und lehrten einander die eigene Sprache in einzelnen
Worlen. — Und die barmherzige Schwester hatte für jeden ein
Lcheln und eine freundliche Frage; die Kinder folgten ihr und
gingen mit heißen Wangen und großen, scheuen Augen von Bett zu
Benn und teilten ihre kleinen Kuchen aus. Sie legten sie in die
Hände des Feindes wie des Freundes. „Sie haben ja alle ihre
Pflicht getan,“ — sagte die barmherzige Schwester sanft, „haben
gekämpft und gelitten und liegen nun gelähmt und voll Schmerzen
einer wie der andere.“
Endlich war alles verteilt, nur der schöne, rote Apfel noch nicht.
Wo war denn der Allerärmste unter ihnen?
Da fielen die suchenden Blicke der Kinder auf einen jungen
Franzosen, der einsam im entferntesten Winkel saß Er schien wohl
der Gesündeste von ihnen allen; denn er konnte sich frei hewegen
und trug keinerlei Verband mehr, aber sein Gesicht war doch so
trauxig und blaß wie kein anderes.
„Was fehlt ihm?“ fragten leise die Kinder.
Er ist geheilt und wird morgen entlassen und darf in seine
Heimat zurückkehren.“
„Wie kann er da so traurig aussehen?“
Weil er daheim niemand findet, der sich auf ihn freut und