Full text: Mittelstufe, Oberabteilung, (3. Klasse der Berliner Gemeindeschule) (Teil 3, [Schülerband])

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reinen Unschuld und harmlosen Fröhlichkeit hat ihn immer entzückt. 
Er konnte kein Kind sehen, ohne es anzulächeln, ohne ihm die Wange 
zu streicheln, ohne ihm ein paar liebe Worte zu sagen. Wie er 
selber ein wahrhaft kindliches Gemüt besaß, so verstand er's auch 
wie selten einer, in den Kinderherzen zu lesen. Deshalb war er aber 
auch der Abgott der deutschen Kinderwelt; deshalb jubelten ihm ihre 
Herzen zu, sobald er sich nur sehen ließ. Nie hat ein Fürst der 
Jugend so nahe gestanden wie er, nie hat irgend eine andere fürst— 
liche Persönlichkeit — ausgenommen die Königin Luise — an den kleinen 
Freuden und Leiden der Jugend persönlich so innigen Anteil genommen 
wie er; nie hat aber deswegen die Kinderwelt sich einem Fürsten so 
vertraulich und unbefangen genaht wie dem deutschen Kronprinzen. 
Wer ihn gesehen hat mit den Kindern verkehren — sei es bei den 
fröhlichen Gartenfesten auf seinen Gütern in Eiche, Bornstedt und 
Paretz, sei es in den Schulen dieser Dörfer, sei es in den lustigen 
Stunden, die er unter den Kindern der Potsdamer Badeanstalt zu— 
brachte, sei es bei irgend einer andern Gelegenheit, — der hat das 
Bild dieser Siegfriedsgestalt mit den blonden Haaren und den ge— 
winnenden blauen Augen nicht mehr aus dem Gedächtnis verloren. 
Aber Kaiser Friedrich verstand es nicht allein, mit der Jugend 
zu scherzen; seine ganze edle Persönlichkeit, sein einfaches, würdiges 
Auftreten, der hohe, sittliche Ernst, mit dem er die Aufgabe der Er— 
ziehung des Volkes auffaßte — alles das machte ihn zu einem leuch— 
tenden Vorbilde für die Jugend. Ein freundlicher, belohnender Blick 
aus diesen blauen Augen erschien dem Strebsamen, dem Fleißigen, 
dem Bescheidenen tausendmal wertvoller als die größte Lobrede. Aber 
diese schön gewölbte Stirn konnte sich auch in edlem Unwillen furchen, 
dieses sonst in mildem Glanze schimmernde Auge konnte auch strafende 
Blitze auf den Sünder herniederschleudern. Sein ganzes Verhältnis 
zu der lernenden Jugend — besonders den Kadetten gegenüber, mit 
denen er naturgemäß sehr häufig in Berührung kam — wirkte durch⸗— 
aus erziehend. Eigendünkel, Unbescheidenheit, Überhebung, Anmaßung, 
unwahres Wesen wies er mit entschiedenem Unwillen in die gebüh— 
renden Schranken zurück. So tadelte er einst vor der ganzen Kom— 
panie mit sehr scharfen Worten einen jungen Kadetten, der sich über 
einen alten, gedienten Soldaten in sehr vorlauter und unbescheidener 
Weise lustig gemacht hatte. 
Strebsamen und talentvollen Jünglingen, die unter drückenden 
Verhältnissen zu leiden hatten, ist Kaiser Friedrich als Kronprinz
	        
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