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107. Italiens Natur.
bei weitem grösserer Fülle, obhne jedoch schmackhafter zu werden.
Die ernste Zypresse und die schirmförmige Pinie verleihben hier
der Landschaft einen hervorstéchenden Zug. Selbst Palmen
fehlen nicht, wenn sie auch keine so majestätische Höhe wie in
ihrer Heimat erreichen, und bei Neapel findet sich als Premd-
ling der Baumwollenstrauch mit seinen nulsgrossen Kapseln, aus
denen die Wolle glänzendweils hervorquillt. Der Himmel er—
scheint hièr monatelang ununterbrochen wolkenlos und so blau
und noch blauer als bei uns in den schönsten Prühlingstagen,
wenn die Dũnste, dié immer über der deutschen Erde schweben,
zu weisson Wolken zusammengeflosson sind. Die Laft ist so
rein, dass meilenweit entfernte Dörfer ganz nahe erscheinen.
Bei Tage sieht man Sterne; in der Nacht hebt sich das Gebusch
und jeder andere dunklo Gegenstand unglaublich scharf von der
Landschaft ab. Beim blossen Scheine der schmalen Mondsichel
werfen die Körper scharfe Schatten und die Sterne, die in un
gleich grösserer Zahl und Pracht als bei uns erscheinen, geben
fast zum Lesen genügend Lächt. üÜber Himmel, Erde und
Meer ist den Tag über eine Heiterkeit und Klarheit und bei
Sonnenuntergang eine Darbenglut verbreitet, die nicht zu schil-
dern ist. Lis und Schnee sind hier seltene Erscheinungen.
Hõöchstens findet man vom November bis in den März in den
Abruzzen weisse Berggipfel oder der Vesuv ist wochenlang in
einen Schneemantel gehüllt; in den Tälern aber lacht ewiger
Frũhling, kein Prühling zwar mit blühenden Bäumen, wobl aber
mit frischem Rasen, mit Blumen, jungem Laube und Gemüsen.
Es fallt zuweilen wobl dem Himmel ein, fünf Wochen ohne
Unterlass Vasser herabzuschicken; von einer eigentlichen Regen-
zeit Kann aber nicht dié Rede sein. Auch unser Winter bringt
bisweiloen Veilehen hervor; um Neapel gedeihen sie jedoch neben
anderen Blumen in solcher FPülle, dass dié Knaben vom Landoe
ganze Körbe voll Sträusschen in der Stadt feilbieten. Man ist
darum auch gar nicht für die rauhe Jahreszeit eingerichtet. Die
Pussböden sind von Stein; die Penster gehen bis auf den Boden
und schliessen nicht; die Oõfen fehlen und Kamino gehõren zu
den seltenen Dingen. Gewöhnlich hat der Neapolitaner bei
kaltor Vitterung nur ein Kohlenbecken, über dem er sich von
Zeit zu Zeit dié Hände wärmt. So kommt es denn, dass man
unter Umständen nirgends mebr friert als in Italion, und zwar
klagen die Russen am meisten, weil sie zu Hause am besten heizen.